Basisinformationen

    Freiheit ist ein, wenn nicht der Grundbegriff christlicher Ethik. Im Alltag steht Freiheit oft für Unabhängigkeit und die Abwesenheit von äußeren Zwängen. Diese Vorstellung nennt man negative Freiheit. Der britische Philosoph Isaiah Berlin hat sie mit der Formel beschrieben, „von etwas frei zu sein“. Daneben stellt er die positive Freiheit: Sie meint die individuelle Fähigkeit und damit das Schaffen von Bedingungen in einer Gesellschaft, um das eigene Leben verantwortlich und bewusst gestalten zu können, Entscheidungen zu treffen und für etwas einstehen zu dürfen, das man für richtig hält – also „frei zu etwas zu sein“ (Berlin, 1998).

    In der Philosophie wurde der Begriff der Freiheit von Immanuel Kant grundlegend bestimmt. Für ihn ist der Mensch dann frei, wenn er aus Vernunft handelt – also nach selbst gegebenen moralischen Regeln. Kant schreibt: „Freiheit ist die Eigenschaft der Willkür, sich unabhängig von fremden, sie bestimmenden Ursachen, durch Vernunft selbst das Gesetz zu geben.“ (Kant, 1788/1993, S. 79). Freiheit heißt also nicht: tun, was man will – sondern: das tun, was man für (allgemein) richtig erkannt hat. Damit verknüpft Kant Freiheit untrennbar mit Autonomie, also der Fähigkeit, sich moralisch selbst zu bestimmen – ein Gedanke, der bis heute zentral ist.

    Für die Theologie ist Freiheit nicht nur eine Fähigkeit des Menschen, sondern ein Geschehen zwischen Gott und Mensch. In seiner Schrift Von der Freiheit eines Christenmenschen (1520) beschreibt Martin Luther sie so: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan – und ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan“ (Luther, 2012, S. 42 [WA 21]). Luthers berühmter Doppelsatz entstammt einer Theologie der Rechtfertigung, die den Menschen nicht in seiner Leistung, sondern im Glauben vor Gott gerecht spricht. Der Glaube, dass in Jesus Christus der Mensch vor Gott als gerecht angesehen wird, macht den Christen frei von der Angst um sich selbst – und gerade darum fähig, sich anderen zuzuwenden, oder wie Luther sagen würde, ihnen zu dienen. Hier ist positive Freiheit ebenfalls Ausdruck von Selbstbindung – bei Luther an den Glauben an einen gnädigen Gott, bei Kant die freiwillige Bindung des Menschen an die Vernunft. Beide, Luther wie Kant, sind sich einig: Freiheit ist nicht dasselbe wie bloße Willkür; ohne positives Richtmaß geht Freiheit fehl.

    In der evangelischen Ethik heute wird Luthers Verständnis von Freiheit, das auf Beziehung ausgelegt ist, auf verschiedene Weise weitergeführt. Trutz Rendtorff sieht Freiheit als Teil der „ethischen Lebenswirklichkeit“. Damit meint er: Freiheit geschieht immer in Beziehung – zur Welt, zu anderen Menschen, zur Geschichte. Sie ist nicht bloß Wahlfreiheit, sondern Ausdruck von Verantwortung (Rendtorff, 2011, S.35). Wolfgang Huber nennt das kommunikative Freiheit: Freiheit kann niemand allein verwirklichen. Sie entsteht nicht im Vakuum, sondern sie entsteht zwischen Menschen im Miteinander, im Gespräch, schließlich in der gemeinsamen Gestaltung von Leben (Huber, 2012, S. 265–273). Während Huber also Freiheit als Produkt von Kommunikation hervorhebt, macht Rendtorff deutlich, dass Freiheit nie losgelöst von Zeit und Umständen gelebt wird.

    a) Freiheit als Schlüsselwort der Gegenwart

    Freiheit ist heute ein Schlüsselwort. In westlichen Gesellschaften gilt sie als Grundwert. Doch zugleich wird ihr Inhalt immer unklarer. Martin Laube spricht von einer „Dialektik der Freiheit“: Der Begriff wird überall verwendet und für sich bzw. die eigene Sache beansprucht. Einerseits feiern wir Freiheit als hohes Gut. Andererseits gibt es heute viele Erklärungen des Menschen, die ihn als unfrei beschreiben: Etwa durch die Gene, oder die Hirnforschung, die sagt: Alles, was wir tun, ist vorher im Gehirn festgelegt. Oder durch Algorithmen, die unsere Wünsche „vorhersehen“ und Entscheidungen abnehmen. Menschen rufen also nach Freiheit – und lassen sich gleichzeitig erklären, dass sie eigentlich nicht frei sind (Laube, 2020, S. 13–15).

     

    b) Freiheit zwischen Anspruch und sichtbarer Entfaltung

    Die Bibel spricht von Freiheit meist als ein Bewusstsein über erfahrene Befreiung: Israel wird aus der Knechtschaft Ägyptens geführt (Ex 3), der Mensch wird durch Christus frei von der Macht der Sünde (Gal 5,1; Röm 8,2). Für Martin Luther ist Freiheit ein Geschenk Gottes, das den Blick auf den Nächsten weitet: Das Bewusstsein, dass Gott mich befreit hat, drängt danach, in der eigenen Lebensführung konkret zu werden.

    Auch von philosophischer Seite darf Freiheit nicht nur proklamiert werden, sondern muss erfahrbar sein. Für den wichtigsten Philosophen der Aufklärung, Immanuel Kant, ist freie keine bloße Idee: Sie bedeutet den Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit der Weg zur Freiheit hin. Indem der Mensch mündig wird, kann er selbst als Subjekt seiner Lebensführung werden und übernimmt Verantwortung der Freiheit als Selbstursächlichkeit (Intelligibilität) des Menschen begreift.

    Georg Wilhelm Friedrich Hegel zum Beispiel sagt: „Wirklich frei bin ich erst, wenn meine Freiheit auch in der Welt Wirklichkeit wird – wenn also meine Ideen und Wünsche dort Platz finden“ (zitiert nach Honneth, 2011, S.90). Freiheit heißt dann: In der Gesellschaft mitgestalten, nicht nur im Inneren frei denken.

    Die politische Theoretikerin Hannah Arendt liegt die Freiheit im Wesen des Menschen begründet – in seiner Fähigkeit, immer wieder Neuanfänge zu setzen. In ihrer Schrift Die Freiheit, frei zu sein beschreibt sie den Menschen als ein Wesen, das „einen Anfang machen kann“ (Arendt 2018, S. 19). Im Unterschied zum Tier, das lediglich instinktgeleitet auf Reize reagiert, besitzt der Mensch das Vermögen, bewusst Neues zu beginnen (siehe bereits Kant). Darin besteht für Arendt seine Freiheit. Freiheit ist für Arendt kein Zustand, sondern ein Geschehen: Sie ereignet sich dort, wo etwas Neues beginnt – zwischen Menschen, in der Welt. Dass mit jedem Menschen zugleich die Möglichkeit eines Neuanfangs in die Welt tritt, verknüpft sie mit dem Begriff der Natalität: „Die ganze Fähigkeit zum Anfangen wurzelt im Geborensein“ (Arendt, 2002, S. 217).

    Freiheit entfaltet sich nicht im Alleingang – sie verlangt nach gerechtem Miteinander. Sobald Menschen ihre Freiheit gemeinsam leben, stellt sich unausweichlich die Frage nach Gerechtigkeit: Es braucht faire Regeln und Vereinbarungen, damit Freiheit allen gleichermaßen möglich wird. Erst wenn die gesellschaftlichen Bedingungen gerecht sind, so John Rawls, kann individuelle Freiheit gelebt werden (Rawls, 1976).

     

    c) Die Freiheit und das Böse

    „Wirkliche Freiheit gibt es auf Erden nur zusammen mit Schuld“. (Theunissen 2002, S. 346)

    Wo Menschen frei sind, können sie ihrer Verantwortung auch nicht nachkommen, an ihren Ansprüchen scheitern oder bewusst böse handeln. Friedrich Schelling schreibt: „Freiheit ist mehr als die Entscheidung zum Guten. Wirklich frei ist der Mensch, weil er sich auch gegen das Gute entscheiden kann – also weil er verantwortlich ist, im Guten wie im Bösen“ (Schelling, 1809/1985, S.25). Schellings Freiheitsbegriff enthält eine dramatische Anthropologie: Erst durch die reale Möglichkeit des Bösen zeigt sich der Mensch als moralisch verantwortliches Wesen. Diese Sichtweise betont die Tragweite freier Entscheidungen; im Guten wie im Schlechten ziehen sie Konsequenzen nach sich. Wer frei ist, kann schuldig werden. Deshalb tritt in der Philosophie neben das Nachdenken über Freiheit und Verantwortung auch stets die Frage nach dem Umgang mit Schuld. Für Hannah Arendt ist die Möglichkeit zu vergeben das einzige Mittel, wie Menschen weiterhin frei bleiben können trotz der Unausweichlichkeit, immer wieder einander in ihren Taten schuldig zu werden. Sie sagt, dass es „mit dem Leben nicht weiterginge, wenn Menschen sich nicht ständig gegenseitig von den Folgen dessen befreien würden, was sie gesagt haben, ohne zu wissen, was sie tun.“ Nur durch dieses Verzeihen – verstanden als Neuanfang – bleibe die dem Menschen durch die Geburt gegebene Freiheit erhalten (Arendt, 1958/2002, S.301).

    Freiheit ist kein abstraktes Theorie-Thema – sie begegnet uns jeden Tag. Oft zeigt sich dabei eine schwierige Frage: Wie lässt sich persönliche Freiheit mit Verantwortung für andere und deren Freiheit vereinbaren? Vier Bereiche zeigen, wie konkret und herausfordernd diese Spannung ist.

     

    a) Gewissensfreiheit und politische Teilhabe

    Das Grundgesetz unterstellt die Freiheit aller seiner Bürgerinnen und Bürger, wenn es dort heißt, die Freiheit der Person sei unverletzlich (Art. 2 Abs. 2 GG). Diese Freiheit meint die Freiheit vor physischer als auch sozialer bzw. psychischer Gewalt. In einer Demokratie ist es entscheidend, dass Menschen ihre Meinung frei äußern dürfen – auch wenn sie kritisch ist. Karl Popper nennt das eine „offene Gesellschaft“: eine Gesellschaft, in der niemand für ein bestimmtes Ideal geopfert werden darf und politische Kritik möglich sein muss (Popper, 1945). Gerade aus der Geschichte – z. B. dem Nationalsozialismus oder der DDR – wissen wir, wie gefährlich es ist, wenn der Staat Menschen ihre Freiheit nimmt. Doch Meinungsfreiheit hat Grenzen: Was passiert, wenn die persönliche Überzeugung mit den Rechten anderer oder den Regeln des Staates in Konflikt gerät? Die christliche Ethik sagt: Das Gewissen ist wichtig – aber nicht alles. Es ist nicht unfehlbar. Es kann durch Vorurteile, Angst oder Ideologie fehlgeleitet werden – wie etwa in der Geschichte totalitärer Regime zu sehen ist, in denen Menschen sich subjektiv im Recht wähnten, obwohl sie Unrecht taten. Gerade in pluralen Gesellschaften kann sich das Gewissen nicht absolut setzen. Es steht im Spannungsverhältnis zu gesellschaftlichen Normen, zum staatlichen Recht und zur Verantwortung gegenüber Mitmenschen. Es braucht gemeinsame Regeln und Rücksicht auf andere, damit Freiheit nicht zur Rücksichtslosigkeit wird (Huber, 2012).

     

    b) Freiheit für Religion – und von Religion

    Religionsfreiheit bedeutet: Jeder Mensch darf glauben, was er will – und diesen Glauben auch öffentlich leben. Das ist ein Grundrecht. Doch was, wenn religiöse Überzeugungen mit staatlichen Regeln in Konflikt geraten – etwa mit der Schulpflicht oder mit der Gleichstellung der Geschlechter? Hier stellt sich die Frage: Wie kann der Staat Glaubensfreiheit schützen, ohne andere Freiheiten zu gefährden? Die Ethik sucht nach Wegen, wie verschiedene Überzeugungen nebeneinander bestehen können – ohne dass jemand dominiert oder unterdrückt wird (Fischer, 2002).

     

    c) Freiheit und soziale Gerechtigkeit

    Der Vollzug von Freiheit ist voraussetzungsreich: Wer arm ist, krank oder ausgeschlossen, kann oft nicht frei entscheiden – selbst, wenn er es theoretisch dürfte. Deshalb gehört zur Freiheit auch Gerechtigkeit. Eine Gesellschaft muss Bedingungen schaffen, unter denen alle Menschen ihre Freiheit wirklich leben können. Nur so verwirklicht die Idee einer positiven Freiheit: Der Staat hat nicht nur seine Bürgerinnen und Bürger möglichst nicht zu gängeln, sondern über die Gesetzgebung direkt benachteiligten Menschen Voraussetzungen zu schaffen, dass auch sie Freiheit in ihrem Leben erfahren können. Das heißt zum Beispiel: Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung und sozialer Sicherheit. Soziale und ökonomische Ungleichheiten müssen so gestaltet sein, dass sie den am wenigsten Begünstigten den größtmöglichen Vorteil bringen. Entscheidende Freiheitsbewegungen – Frauen, Schwarze, Schwulen und Lesben – kämpfen gegen strukturelle Benachteiligung mit dem Ziel hin zur Gleichbehandlung. Nur so wird Freiheit zu mehr als ein Vorrecht für die Stärkeren (Rawls, 1975, S.281).

     

    d) Freiheit in der Medizin

    In der Medizin geht es oft um sehr existenzielle Entscheidungen: zum Beispiel bei Schwangerschaftsabbruch, Sterbehilfe oder Organspende. Dann steht die Frage im Raum: Wie viel Freiheit soll und darf ein Mensch über seinen Körper haben?

    Gleichzeitig spielen Fürsorge, Vertrauen und Verantwortung eine Rolle – gegenüber anderen, aber auch gegenüber sich selbst. Manche Menschen warnen vor einem „Dammbruch“: Wenn etwas erlaubt wird, könnte es bald zu weit gehen. Die christliche Ethik sagt: Auch in existenziellen Fragen wie dem assistierten Suizid geht es um eine Aushandlung, Selbstbestimmung tatsächlich zu ermöglichen, und zugleich auszuloten, dass Entscheidungen in einem Netz von Verantwortung getroffen werden sollten, weil Freiheit letztlich immer einander gewährt wird (Anselm, 2020, S.15).

     

    Fazit:

    Freiheit ist nie nur Privatsache – sie steht immer im Zusammenhang mit anderen Menschen. Sie ist nicht absolut, sondern lebt vom Dialog, vom Abwägen und vom gegenseitigen Gewähren von Freiräumen. Wer frei ist, kann irren, scheitern oder schuldig werden. Doch gerade das verleiht der Freiheit ihre Bedeutung: Sie unterbricht bestehende Ordnungen und eröffnet Raum für Veränderung. Als Wert an sich steht sie nicht im Dienst eines höheren Zwecks – sie dient allein dem Person Sein selbst.

    a) Einführend ins Thema

    • Fischer, Johannes. (2008). Grundkurs Ethik. Grundbegriffe philosophischer und theologischer Ethik. Stuttgart: Kohlhammer.
    • Huber, Wolfgang. (2015). Freiheit. In: Evangelische Ethik Kompakt (S. 265–273). Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus.
    • Laube, Martin (Hrsg.). (2014). Freiheit. Stuttgart: UTB.

     

    b) Verwendete Literatur

    • Anselm, Reiner. (2020). Ethik am Ende des Lebens. Loccumer Pelikan, 2/2020.
    • Arendt, Hannah. (2002). Vita activa oder Vom tätigen Leben. München: Piper.
    • Arendt, Hannah. (2018). Die Freiheit, frei zu sein. München: dtv.
    • Berlin, Isaiah. (1998). Zwei Freiheitsbegriffe. In: Martin Hauskeller (Hrsg.), Freiheit. Studien zur Philosophie des 20. Jahrhunderts (S. 129–152). Berlin: de Gruyter.
    • Fischer, Johannes. (2002). Theologische Ethik. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
    • Honneth, Axel. (2011). Das Recht der Freiheit. Berlin: Suhrkamp.
    • Huber, Wolfgang. (2012). Der christliche Glaube. Eine evangelische Orientierung. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus.
    • Kant, Immanuel. (1788/1993). Kritik der praktischen Vernunft. Hamburg: Meiner.
    • Laube, Martin. (2020). Die Dialektik der Freiheit. Systematisch-theologische Perspektiven. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
    • Luther, Martin. (1520/2012). Von der Freiheit eines Christenmenschen [WA 21]. In: Dietrich Korsch (Hrsg.), Deutsch-Deutsche Studienausgabe. Band 1: Glaube und Leben (S. 39–63). Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt.
    • Popper, Karl Raimund. (1945). Die offene Gesellschaft und ihre Feinde. London: Routledge.
    • Rawls, John (1975). Eine Theorie der Gerechtigkeit (B. Sabine & D. Böhm, Übers.). Berlin: Suhrkamp.
    • Rendtorff, Trutz. (2011). Ethik. Grundelemente, Methodologie und Konkretionen einer ethischen Theologie. Tübingen: Mohr Siebeck.
    • Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph. (1809/1985). Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit. Stuttgart: Reclam.
    • Theunissen, Michael. (2002). Freiheit und Schuld – Freiheit und Sünde. In: Heinrich Bedford-Strohm, Wolfgang Härle & Heike Thimme (Hrsg.), Freiheit verantworten. Festschrift für Wolfgang Huber (S. 343–356). Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus.

    Veröffentlicht am 14.7.2025 (Version 1.0).

    Zitierweise:
    Schlote, Y.: Art. "Freiheit" (Version 1.0 vom 14.7.2025), in: Ethik-Lexikon, verfügbar unter: https://www.ethik-lexikon.de/lexikon/freiheit-0.