Basisinformationen

    Die jüdisch-christliche Kultur basiert auf der gesellschaftlichen Öffentlichkeit als Ort der Aushandlung religiöser und politischer Fragen sowie Konflikte und der öffentlichen Debatte über die Konsequenzen, die religiöse Grundsätze auf politisches Handeln haben sollten.

    Das zeigt sich in vielen Gedankenfiguren und Redekonstellationen angefangen beim Widerspruch des Sklavenanführers Mose gegen den Pharao (Ex 4,29ff.) bis hin zu den öffentlichen Auftritten der Propheten auf den Plätzen wo – nicht im Namen des Volkes, sondern im Namen des Gottes, der auf der Seite der Armen und Ohnmächtigen ist – die politisch Handelnden einer öffentlichen Prüfung und Kritik unterzogen wurden, die mündlich vorgetragen und im Laufe der Zeit verschriftlicht wurde – eine Art reziproker Dynamiken zwischen schriftlichen und mündlichen Texten. Für diese "Aufführungen" scheint es eigens Orte gegeben zu haben:

    "Z.B. Neh 8,1.3 stellt sich ein Gelände vor, das Raum bot für eine größere Menschenansammlung samt einer erhöht stehenden, ziemlich geräumigen Holzkonstruktion (מגדל עץ). Man wird also eher an eine langgestreckte Bühne, denn an ein Rednerpult oder eine Kanzel denken. 
    Diese Ortsvorstellung kommt Versammlungsplätzen ‚griechischer Bürgergemeinschaften‘ ziemlich nahe. Der Althistoriker Christoph Höcker beschreibt sie so: Solche Plätze wurden zunächst einfach durch Freiflächen mit einer ‚Geländeerhebung‘ gebildet. ‚Das Bema‘, das als Rednertribüne diente, sei ‚ein zunächst eher unscheinbares, aber baulich gefaßtes Podest‘ gewesen, das sich an den Orten erhob, an denen größere Versammlungen tagten‘" (vgl. Utzschneider Performativität 2020).

    Als sich im 19. Jahrhundert die Presselandschaft in Europa mächtig zu etablieren begann, war es nicht unüblich, die Propheten und ihre gesellschaftliche Funktion mit dem Beruf des Journalisten in Verbindung zu bringen, der gesellschaftliche Zustände in aller Härte und mit dem Einsatz seiner eigenen Person kritisiert:

    So schreibt der französische Orientalist Ernest Renan im Jahre 1889:
    "Der Prophet des 8. Jahrhunderts ist ein Journalist, der unter freiem Himmel wirkt, der seinen Artikel in eigener Person vorträgt und ihn mit Mimik und Gestik begleitet, ja nicht selten in Zeichensprache umsetzt. Es kommt vor allem darauf an, das Volk zu beeindrucken, eine Menschenmenge anzulocken. Um das zu erreichen, versagt sich der Prophet keiner Schelmerei, deren Erfindung sich die moderne Publizistik rühmt. Er stellt sich an einem Ort auf, wo viele Menschen vorbeikommen, vor allem am Stadttor. Um dort Zuhörer zu gewinnen, bedient er sich der kühnsten Reklametricks, der vorgetäuschten Verrücktheit, neuer Wörter und ungewöhnlicher Ausdrücke, trägt beschriebene Plakate selbst herum, umstehen ihn Zuhörer, dann klopft er seine Sprüche, lässt sie dröhnen, beeinflusst sein Publikum bald durch vertraulichen Ton, bald durch bitteren Spott. Die Gestalt des Volkspredigers ist geschaffen."

    Jesus versteht sich in Teilen seiner Selbstbeschreibung als ein Prophet (vgl. Lk 4,23–24, Mt 13,57, Lk 7,16, Joh 9,17, Joh 6,14). Seine Auftritte beanspruchten eine große Öffentlichkeit und in seiner wichtigsten Rede, der Bergpredigt, gilt diese Öffentlichkeit als ein entscheidender Parameter für das Reden von und über Gott sowie für die Existenz der Gemeinde (Mt 5,14ff). Der Vorwurf, den Jesus gegenüber seinen religiösen Gegnern bei seiner Festnahme erhebt "Habe ich nicht immer öffentlich und frei geredet" (Joh 18,20ff.), beschreibt diesen Sachverhalt von Religion als "Enlightment", als (auf)klärendes Handeln und Reden, ebenso wie das Bildwort "Ihr seid das Licht der Welt" (Mt 5,13–16).
    Auch die Verurteilung am Gerichtsort des Pilatus und die Kreuzigung Jesu als historisches Datum und überzeitliches Symbol fand – nach biblischem Zeugnis – unter Beteiligung der großen Öffentlichkeit statt. Ebenso wie etwas später dann der Auftritt der Jünger an Pfingsten, die die Verfolgung nicht mehr fürchtend, das Leben und den Tod Jesu an Pfingsten öffentlich interpretieren, wie es die Apostelgeschichte erzählt (Apg 2,1ff.).
    Das Christentum hat sich – ganz im Unterschied zu vielen damaligen und heutigen Religionen – nie als Arkandisziplin verstanden, sondern immer als Teil der gesellschaftlichen Öffentlichkeit, der es eine ethische Beurteilung des öffentlichen und politischen Handelns schuldig war.
    Dies änderte sich in den ersten Jahrhunderten nach Christus nur vorübergehend in Regionen und Zeiten harter Verfolgung, aus denen uns geheime Erkennungssymbole wie der Fisch (Ichtys: "Jesus Christus Gottes Sohn Retter") überliefert sind.
    Es zieht sich also durch die Schriften des Alten und Neuen Testaments ein Plädoyer für die Öffentlichkeit von Religion, die die Feststellung impliziert, dass religiöse Überzeugungen jüdischer und/oder christlicher Art ethische und politische Konsequenzen haben, die in den öffentlichen Diskurs gehören.

    Aus dieser Beobachtung ergeben sich aus dem biblischen Befund eine Reihe von ethischen Kriterien für den Umgang der Christen mit der Öffentlichkeit, die festgehalten werden können – sozusagen als Muster des Umgangs der Christen mit der Gesellschaft und deren Öffentlichkeiten: 

    • Christen setzen auf eine Gemeinschaft, in der alle eine Stimme haben; wo die Beteiligung der Mächtigen und der Ohnmächtigen, der Schwachen und der Starken, der Jungen und der Alten gewährleistet ist (Joel 3,1). Eine hierarchiefreie Kommunikation ist das Idealbild christlicher Kommunikation.
    • Dabei sollte die politische und religiöse Macht immer dienende Macht sein und bedarf eines kritischen Gegenübers. Das Modell König-Prophet (z.B. 2 Sam 12), das an vielen Stellen der christlichen Bibel aufgerufen wird, impliziert die theologische Vorstellung, dass jede weltliche Macht von Gott geliehen und damit öffentlich kritisierbar ist. Wenn Politiker heute ihren öffentlichen Amtseid mit der Formulierung "So wahr mir Gott helfe" bekräftigen, geben sie ein Zeugnis von dieser religiösen Gedankenfigur. Dazu gehört auch die Überzeugung, dass das kritische Prophetenwort, wenn es denn ungehört verhallt und der Prophet für seine Kritik verfolgt wird, verschriftlicht wird (Jer 36–33). In der Verschriftlichung steckt die Behauptung der Wahrheit, die auf lange Sicht nicht unterdrückt werden kann. Zensur hat also vor Gottes langem Atem keinen Sinn, die Wahrheit wird ans Licht kommen, das behaupten die prophetischen Texte.
    • Auch die Kommunikationsgerechtigkeit ist ein altes biblisches Anliegen, wenn darauf gepocht wird, dass die Stimme derjenigen, die keine Stimme haben, in der Öffentlichkeit vertreten ist. "Tu deinen Mund auf für die Stummen und für die Sache aller, die verlassen sind. Tu deinen Mund auf und richte in Gerechtigkeit und schaffe Recht dem Elenden und Armen" (Spr 31,8–9). Bis heute beruft sich christliche Publizistik auf dieses Bibelwort als konzeptionelle Verortung in der Mediengesellschaft.
    • Dass das öffentliche Reden fatale Konsequenzen für Individuen und Gruppen haben kann, wenn Gerüchte und Unwahrheiten verbreitet werden, das weiß schon das 8. Gebot, das die Integrität von Menschen und Gruppen schützt: "Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten" (Ex 20,16). Dieses Gebot bekommt in Zeiten von "Fake News" und Filterblasen, von Hass-Rede und strategischer Desinformation höchste Relevanz und bildet sich auch in den rechtlichen Grundlagen öffentlicher Medien (z.B. Pressegesetze) ab, die in Zukunft dringend weiterentwickelt werden müssen im Hinblick auf die Kommunikation in der digitalen Gesellschaft.
    • Dass öffentliche Rede nicht den Interessen Einzelner unterworfen ist, sondern dem Gemeinwohl verpflichtet, das weiß schon die Einsicht der jüdischen Exulanten in der großen Stadt Babylon, die als einzelne Lobby der jüdischen Parallelgesellschaft im babylonischen Reich formulieren: "Suchet der Stadt Bestes" (Jer 29,7). Dass das öffentliche Wohl, das Wohlergehen aller in einer Gemeinschaft und nicht nur das Wohl der eigenen Gruppe oder Gemeinschaft Ziel einer christlichen Ethik ist, ist das Ergebnis einer langwierigen und hartnäckigen Denkarbeit über die Positionierung von Christen in der Gesellschaft.

    Dazu kommt der Freiheitsgedanke, der sich wie ein roter Faden durch die Schriften der Bibel zieht: Die Relation der Gottesbindung und der Verantwortung für den anderen wird mit dem Freiheitsgedanken kombiniert und bildet das Fundament gesellschaftlichen Redens und Handelns in der Öffentlichkeit aus christlicher Perspektive.

    In der Geschichte des Publizierens im christlichen Auftrag lassen sich über die Jahrhunderte viele der oben genannten Muster für die öffentliche Kommunikation wiederfinden. In der Reformation war es der Freiheits- und Beteiligungsgedanke aus dem Geist der Bibel sowie die Auflehnung gegen die Zensur und den hierarchisch organisierten Zugang zu den Kommunikationstechnologien, der die evangelischen Autoren veranlasste, die neuen technischen Medien des Buchdrucks zu nutzen und die Druckereien als einen wichtigen Teil des theologischen Auftrags zur Verbreitung des reformatorischen Befreiungsgedankens zu verstehen. Die Enthierarchisierung der Kommunikation und das Entstehen neuer, reformatorischer Öffentlichkeiten verweist bis heute eine theologische Medienethik darauf, Medien grundsätzlich als "Instrumente der Freiheit" (vgl. Geisendörfer 1978) und der Beteiligung und Befähigung (vgl. Dabrock 2012) zu verstehen. Das bedeutet zugleich, dass sich christliche und kirchliche Institutionen neben ihrem Missionsauftrag immer auch dem Gesamten der zwischenmenschlichen und gesellschaftlichen Kommunikation verantwortlich fühlen und dies als ihren entscheidenden Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenleben verstanden wissen wollen (vgl. Haberer 2015; Haberer 2018).
    Darauf verweist die Tradition der Denkschriften beider Konfessionen in Deutschland, die sich auf der Höhe der Zeit und der gesellschaftlichen Debatte zu öffentlich relevanten Fragestellungen aus christlicher Sicht positionieren – auch zur Debatte über den Umgang mit Medien (vgl. Arnheim 1933; Arnheim 19791; Arnheim 19792; Arnheim & Diederichs 1979; Splendor and Misery of the Photographer; Kirchenamt der Evangelische Kirche in Deutschland 19971; Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland 19972; Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland 2008).

    Natürlich kann man im Hinblick auf den biblischen Begriff von Öffentlichkeit oder hinsichtlich des reformatorischen Begriffs von "publice docere" (Art. IV CA) nicht von einer aufgeklärten demokratischen Öffentlichkeit nach Immanuel Kant sprechen, der in der radikalen Öffentlichkeit die Voraussetzung für den Frieden unter den Völkern versteht (vgl. Kant 1995) – als Grundlage des Ausgangs aus der "selbstverschuldeten Unmündigkeit" (vgl. Kant 1783). Diese Form der Aufklärung als Grundlage einer bürgerlichen Demokratie setzt funktionierende gesellschaftliche Institutionen voraus (Staat, Kirche, Medien) und erhebt einen hohen Anspruch an eine "kritische Öffentlichkeit", die zu einem "informierten Diskurs" (Habermas 2010) in der Lage ist. 
    Im Horizont der Digitalisierung von Information und Kommunikation mit der Perspektive, dass alle Nutzer sich gleichberechtigt beteiligen, erscheint eine wichtige Gedankenfigur der biblischen Gesellschaftsvisionen (Joel 3) einer technischen Erfüllung zugeführt. Gleichzeitig schwächt diese Kommunikation "aller mit allen" die etablierten Institutionen, Autoritäten und Experten. Diese nicht hierarchische Kommunikationsform kann zwar einen Diskurs in Gang setzen, ob dieser aber kritisch und informiert daherkommt und institutionell rückgekoppelt wird, ist von niemandem zu garantieren. 
    Dem gegenüber hat der Philosoph Volker Gerhardt einen neuen, liberalen Ansatz zum Thema der gesellschaftlichen Öffentlichkeit in die Debatte geworfen: Das individuelle und das allgemeine Bewusstsein wird im Begriff der Öffentlichkeit unlöslich verschränkt: "Bewusstsein, so lautet die grundlegende Einsicht, ist die erste und elementare Form der Öffentlichkeit. Es ist die hochkultivierte Form menschlicher Selbstorganisation, in der ein Individuum in direktem Bezug auf einen Sachverhalt gleichermaßen bei sich selbst und bei allen Anderen ist, sofern sie sich über den gleichen Sachverhalt verständigen" (Gerhardt 2012: 41). 


    Öffentlichkeit ist nach Volker Gerhardt das basale Element zur Konstitution von Gesellschaft und Individuum und zwar in genau dieser Reihenfolge. Dabei versteht er die "Gleichrangigkeit von Öffentlichem und Privatem" als "komplementäre Leistungen". 
    Denn Individualität und Subjektivität erschließen sich für ihn gleichermaßen als anthropologische Funktionen im Medium der Öffentlichkeit. 
    Es geht ihm darum diese wechselseitige Beziehung und begriffliche Verschränkung von Individuum und Gesellschaft, von Bewusstsein und Öffentlichkeit, als sinnvoll und plausibel zu erweisen. Der Sinn von Öffentlichkeit erweist sich im zielgerichteten Handeln des Menschen, also im Politischen. Dabei formuliert Gerhardt in großem Vertrauen auf die menschliche Selbstorganisation: 
    "Nach allem, was wir über die Ausbreitung des Wissens bei vielen Menschen wissen, erfolgt die kritische Prüfung schon von selbst – insbesondere dann, wenn für Widerspruch gesorgt ist. Also genügt es, Zugänglichkeit und Offenheit herzustellen. Folglich reichen die Kriterien der Freiheit und der Gleichheit aus, die jedem Teilnehmer an öffentlichen Diskursen zuzugestehen sind. Wer mehr will, wird weniger erreichen" (Gerhardt 2012: 281).
    Dieser optimistische Begriff entspricht dem protestantischen Zutrauen zu einem "weltoffenen und gottoffenen" Menschenbild, das die Überzeugung vertritt, man müsse nur den Raum der Öffentlichkeit unter gleichen und gerechten Zugangsbedingungen öffnen und dann die Freiheit zur kritischen Auseinandersetzung garantieren und es würde sich das Individuum im Gegenüber zu Gesellschaft und umgekehrt zu einem immer neuen Bewusstsein formen. 
    In einer Netzgesellschaft findet dieser philosophische Ansatz perspektivisch eine große Resonanz, weil er die gesellschaftliche Öffentlichkeit als einen sich in ständiger Interdependenz mit den Individuen zusammenfindenden Organismus denkt. Dieser Begriff von Öffentlichkeit kann auch die biblischen und anderen religiös geprägten Vorstellungen von Öffentlichkeit in ihren Potentialen einbinden und heben.
    Dass Religion in der Öffentlichkeit eine politisch wie kulturell immer neu zu verhandelnde Thematik ist, zeigt die katholische Theologin und Sozialwissenschaftlerin Heimbach-Steins in ihrem ausgezeichneten Aufsatz "Religion zwischen Privatheit und Öffentlichkeit – eine christlich ethische Perspektive". Sie fragt nach der Präsenz von Religion im öffentlichen Raum zunächst aus einer "Beobachterperspektive" (Heimbach-Steins 2018: 23) und reflektiert religiöse Pluralität und Heterogenität und deren Konfliktpotentiale in der Gesellschaft. Dem Thema angemessen übernimmt sie dann im zweiten Teil eine Innenperspektive und reflektiert die Rolle der katholischen – es könnte ebenso die evangelische sein – Kirche in der Öffentlichkeit der deutschen Gesellschaft. Dabei fordert sie die Verantwortung religiöser Akteure für eine Religionsfreiheit, die auf jegliche Anmaßung verzichtet im Namen einer religiösen Wahrheit, die anderen Religionen aus dem öffentlichen Raum zu vertreiben (Heimbach-Steins 2018: 65ff).
    Eine ähnliche Position vertritt aus internationaler Perspektive der amerikanische Soziologe Craig Calhoun, der – im Anschluss an den Jazzmusiker Cornel West (vgl. West 2012: 134ff.) – an die prophetische Perspektive der Religion erinnert, die nicht einer schlichten Logik der Äquivalenz folge, sondern einer Überfülle an Liebe, aus der dann eine "rechtschaffene Empörung über Ungerechtigkeit" erwächst. Religion diene dazu falsche Harmonien aufzubrechen. Sie habe die öffentliche Aufgabe, die Aufmerksamkeit auf das Leiden zu lenken, auch wenn sie keine Lösung vorzuweisen habe (vgl. Calhoun 2012: 192f.).
    Religion, so meint er, ist eine "Grundlage für radikale Fragen; sie bringt uns Eifer, Leidenschaft, Empörung und Liebe, Quellen aus der in der Sphäre der rational-kritischen Vernunft die Fragen des Allgemeinwohls verhandelt werden können“.
     

    Religion in der Medienorganisation

    Aktuell stellt sich die Frage, was diese neue undefinierbare und schließlich amorphe Vorstellung von Öffentlichkeit im digitalen Zeitalter für die etablierten gesellschaftlichen Institutionen bedeutet.
    In den gegenwärtigen Demokratien des Westens, insbesondere Europas, ist die Diskursöffentlichkeit – nach den Erfahrungen der Propaganda im Nationalsozialismus – in einer genauen Architektur eines Mediensystems mit den ethischen Grundlagen der Zugangsgerechtigkeit, der Freiheit, der Vielfalt und der Präsenz von Minderheiten im öffentlichen Diskurs in klaren Gesetzen und Hierarchien festgehalten. 
    Der Organisationsform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks beispielsweise liegt die Idee zu Grunde, dass Medien ein "Kulturgut" sind und die Bürger eine Abgabe oder einen Beitrag zahlen für den Rundfunk, der ihnen gehört und der von den gesellschaftlichen Gruppen kontrolliert wird. Gesellschaftliche Gruppen haben in Deutschland auch bei den privaten Sendern ein beschränktes Mitspracherecht.
    Diese Rundfunkorganisation soll für alle Bürger erreichbar sein und die politische und gesellschaftliche Öffentlichkeit und ihre Diskurse durch Information, Bildung und Unterhaltung organisieren.
    Die Zeitungen unterliegen überdies klaren Pressegesetzen. Die Einspruchsmöglichkeiten der Bürger und Leser sind garantiert.
    Womöglich wird dieses Delegationssystem für die informierten und kritischen Diskurse im Horizont des neuen sozialen Raums der digitalisierten Kommunikation neue Gestalten und Formen finden müssen. Tatsache ist allerdings, dass die christlichen Kirchen in diesem Mediensystem sowie im aktuellen politischen Betrieb in Deutschland eine Reihe von Mitwirkungsmöglichkeiten haben, über deren Transformation sie gegenwärtig nachdenken.
    Bislang galt der Öffentlichkeitsanspruch der Kirchen wie er im Loccumer Vertrag festgehalten war:
    "Die Kirchen und die in ihnen versammelten Christen predigen freimütig von der in Christus geoffenbarten Versöhnung Gottes mit der Welt und nehmen mit dem ihnen von daher aufgetragenen Dienst am Nächsten ein Stück Verantwortung für die Welt wahr.
    Mit der Anerkennung des Öffentlichkeitsanspruchs der Kirchen gibt das politische Gemeinwesen zu erkennen, dass es sich die öffentliche Verkündigung der Kirchen, die daraus resultierende Anrede an Gesellschaft und Staat und den sozialen Dienst der Kirchen gefallen lässt, diesen ernst nimmt, dessen begehrt und ihn fördert" (Schlaich 1995: 481).
    Daraus ergibt sich eine Beschreibung des Verhältnisses von Christentum und Medien in der bundesrepublikanischen Gesellschaft, die man mit Anspruch und Verantwortung wie folgt umschreiben kann: Es ergibt sich ein Öffentlichkeitsanspruch der Kirchen sowie eine Öffentlichkeitsverantwortung für die öffentlichen gesellschaftlichen Diskurse, weiter eine Verantwortung für die medialen Systeme, die die Gesellschaft organisieren, und eine kritische Begleitung der medialen Entwicklung in der deutschen bzw. europäischen Gesellschaft.
     

    Handlungsoptionen

    Im Folgenden werden entlang dieses Spannungsfeldes "Auftrag" und "Verantwortung" die Dimensionen und Perspektiven der Kirche in der Mediengesellschaft verhandelt. Unter den verschiedenen theologischen und gesellschaftlichen Zuschreibungen soll das Wirken der Christen in der deutschen Mediengesellschaft am Beispiel der evangelischen Kirche dar- und zusammengestellt werden.
     

    Perspektive "Wächteramt" oder die aufmerksame Verantwortung für das Gemeinwohl

    Wenn die evangelische Kirche von ihrem publizistischen "Wächteramt" spricht, so ist damit die Wahrnehmung von öffentlicher Verantwortung gemeint. Die Kirche fühlt sich als ein Teil der Gesellschaft, hergeleitet aus dem Auftrag der Verkündigung des Evangeliums von Jesus Christus, in der aus christlicher Sicht die Würde des Menschen begründet wird. Daraus ergibt sich eine Gesamtverantwortung für die Freiheit der Information, die Unabhängigkeit des Journalismus, die informationelle Selbstbestimmung des Bürgers betont – auch für die politisch-strukturelle Organisation dieser Freiheit. 
    Es ist in der Vergangenheit immer wieder dafür plädiert worden, den ehrwürdigen Nachkriegsbegriff des "Wächteramtes" der Kirche in der  Gesellschaft zurückzunehmen, der als zu anspruchsvoll und großspurig wahrgenommen wurde. In Zeiten, wo in der Medienwelt nicht mehr nur von der "vierten Gewalt" des Journalismus, sondern bereits von der "fünften Gewalt" des Users gesprochen wird, finden sich die Kirchen mit ihrem wachsamen Blick auf den öffentlichen Raum, seiner Diskurskultur und seinen politischen Strukturen in guter bürgerlicher Gesellschaft. Es ist nun allen Bürgern möglich, im Netz über die zivilgesellschaftlichen Diskursräume zu wachen. Es kann nicht angehen, dass die Kirchen, die in der Nachkriegszeit das "Wachen" und die christliche Aufmerksamkeit gegenüber der öffentlichen Sphäre zu einer ihrer wichtigsten Aufgaben gezählt haben, nun in der digitalen Welt versagen und die Neuordnung der öffentlichen Sphären den Internetgiganten, den Whistleblowern und den Geheimdiensten überlassen. Anders formuliert: Für eine Institution, deren göttlicher Auftrag es ist, die Kommunikation des Evangeliums zu betreiben, ist es, davon abgeleitet, ein vornehmer und vordringlicher Auftrag, sich um die Kommunikationsfreiheit und die Kommunikationssicherheit der Menschen zu bemühen, diese zu bilden und aufzuklären. Und dabei dem Trend entgegenzutreten, den Bürger und Menschen als "Kunden" zu "vernutzen" und ihn in seiner informationellen Selbstbestimmung zu beschneiden. In diesem Geist hat sich die evangelische Kirche immer wieder zu den ethischen Grundfragen der Mediengesellschaft geäußert und nimmt in gesellschaftlichem Auftrag an der Gestaltung der Medien teil.
    Im Folgenden seien die grundlegenden Äußerungen und Institute genannt, in denen Christen ihren gesellschaftlichen Auftrag zur Gestaltung einer freiheitlichen Öffentlichkeit wahrnehmen (vgl. Krüger 2012). 
    Die evangelische Kirche hat ihre Aufgabe in der Mediengesellschaft in zwei Veröffentlichungen (vgl. Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland 1979; Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland 1971; Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland 1972; Deutsche Bischofskonferenz 1985) definiert und damit bewiesen, dass sie produktiv und professionell die Fragen moderner Medien verhandeln kann und plant, auch künftig eine wichtige Rolle im Mediendiskurs zu spielen. Im Jahr 2015 der Lutherdekade hat sich die evangelische Kirche unter dem Motto "Bild und Botschaft" mit aktuellen Medienphänomenen befasst.
     

    Beteiligung an Aufsichtsgremien und Gremien der Medienkontrolle

    Repräsentanten und Repräsentantinnen der beiden großen Kirchen sowie der jüdischen Kultusgemeinden sind in allen Medienkontrollorganen vertreten: In den Rundfunkräten, die den Intendanten und die Hauptabteilungsleiter in den Rundfunkanstalten wählen bzw. bestimmen, dort in Untergruppen Programme beobachten und Stellungnahmen aus ihren Milieus bzw. aus den gesellschaftlich relevanten Gruppen in die Gremien einbringen.  Die beiden Kirchen entsenden weiter Repräsentanten in die Selbstkontrollorgane der freien Medien: Medienräte, Selbstkontrolle von Fernsehen, Internet und Computerspielindustrie. Derzeit wird öffentlich darüber diskutiert, ob in der heutigen globalen Mediengesellschaft die Medienkontrolle der Rundfunksender durch Gremien der Länder noch angemessen sei, sowie die Frage, ob die Definition der gesellschaftlich relevanten Gruppen noch zeitgemäß sei (und ob nicht beispielsweise die große gesellschaftliche Gruppe der Muslime in diesen öffentlichen Auftrag zur Kontrolle der Medien einbezogen werden müsste (vgl. Haberer 2001: 281–290)).
     

    Foren für den Diskurs über die Medienentwicklung

    Neben der Journalistenaus- und -weiterbildung stellt die evangelische Kirche Orte der Debatte über medienethische und medienpolitische wie auch professionsrelevante Themen zur Verfügung. Das Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik und die evangelischen Akademien schreiben regelmäßig auf die Zielgruppe der Journalisten zugeschnittene Tagungen aus, auf denen der Weg der Mediengesellschaft und der ethische Zustand öffentlicher Diskurse beispielhaft und anlassbezogen debattiert wird.
     

    Beobachtung der gesellschaftlichen und medialen Entwicklung

    Die evangelische Kirche finanziert zu beinahe 100 Prozent eine eigene Nachrichtenagentur, den Evangelischen Pressedienst (epd), der einerseits Print- und elektronischen Medien die Plattform bietet, um sich über die Diskurse in den Kirchen zu informieren und andererseits – neben den Öffentlichkeitsreferaten und ihrer Arbeit – den Kirchen, der Institution und ihren Repräsentanten und Repräsentatinnen die Möglichkeit bietet, gesellschaftlich zu intervenieren. Der epd hält seit 1949 zudem einen renommierten Fachdienst für Medienschaffende bereit (heute epd-Medien). Diese Agentur beobachtet und kommentiert die inhaltliche (Programmbeobachtung), die politisch-strukturelle (Staatsverträge, Rechtsprechung usw.), die gesellschaftliche (Dokumentation von Tagungsbeiträgen) sowie die medienethische (Case-Studies) Verfasstheit des Mediensystems.
     

    Beitrag zur medialen Qualitätsentwicklung

    Die beiden großen Kirchen vergeben eine Reihe von Medienpreisen, die werthaltige Programme auszeichnen, die einerseits pädagogisch wertvoll sind, wie beispielsweise der "Erfurter Netcode" für Kinderangebote im Internet (vgl. www.erfurter-netcode.de), andererseits – wie die evangelische Kirche mit dem Geisendörferpreis – inhaltlich und ästhetisch als wertvoll angesehen werden, bzw. Themen aufrufen, die gesellschaftlich verschämt verhandelt bzw. tabuisiert werden oder die Menschen und Menschengruppen zum Thema machen, die im öffentlichen Diskurs untergehen.
     

    Qualitätsentwicklung in der internationalen Filmindustrie

    Ein wirklich ökumenisches Projekt im Zusammenschluss vieler Kirchen bildet die internationale Organisation "Interfilm". Sie entsendet zu den wichtigen internationalen Filmfestivals eine "ökumenische Jury". Das sind ökumenisch und international gemischte Filmexpertengruppen, die einen ökumenischen Preis vergeben, an Filme, die eine christliche Perspektive einnehmen. Dieser Preis ist der älteste internationale Filmpreis in der Nachkriegszeit. Er vernetzt das Filmschaffen und die Filmschaffenden mit dem Urteil von Juroren aus einer internationalen und interkonfessionellen christlichen Sicht. Die Kriterien, unter denen ein Film als christlich-wertvoll eingeordnet wurde, haben sich im Laufe der Jahre und der theologischen Filmdiskurse geändert. Unverändert bleibt das Interesse der Filmschaffenden an diesem Preis sowie das Interesse der Festivals an der Arbeit der Jury. Dort wird die Expertise der Juroren ebenso gewürdigt wie die Qualität der Preisbegründungen (vgl. Helmke 2005).
     

    Internationaler Austausch von Medienschaffenden

    Die World Association for Christian Communication (WACC) ist eine internationale Organisation, zum großen Teil vom Ökumenischen Rat der Kirchen finanziert, die sich weltweit für Menschenrechte unter der Perspektive der "Kommunikationsrechte" einsetzt. Dabei arbeitet die WACC mit den Kirchen in der Welt und ihren Kommunikationseinrichtungen zusammen. Die NGO erstattet weiter Bericht über die Kommunikationssituation der Kirchen und der Gesellschaften weltweit. Es gibt wahrscheinlich neben den Einrichtungen der UN kaum eine Organisation, die über die Kommunikationssituation, die Medienorganisationen bzw. die Möglichkeiten von Menschen ihre Interessen zu gesellschaftlich zu kommunizieren, so informiert ist wie die WACC (vgl. www.wacc.org.uk).
     

    Kooperationen zwischen Medien und Kirche

    Der Medien- früher Rundfunkbeauftragte der Evangelischen Kirche Deutschlands (die Landeskirchen haben eigene, den Landesanstalten zugeordnete Rundfunkbeauftragte) hat die Aufgabe, zwischen der Kirche und ihren institutionellen wie auch gesellschaftlichen Interessen zu vermitteln, sowie umgekehrt die Sorgen und Fragestellung(en) der Medienschaffenden in die Beratungen der Kirche einzubringen.
    Er oder sie trägt zugleich die theologische Verantwortung für die sogenannten "Verkündigungssendungen", in denen kirchlich entsandte Sprecherinnen und Sprecher aus christlicher Sicht die gesellschaftlichen Fragen kommentieren und in diesem Sinne öffentliche Seelsorge leisten. Dies geschieht in Live-Übertragungen von Gottesdiensten und in anderen kurzen, handwerklich sehr unterschiedlich gestalteten Verkündigungssendungen, in denen christliche Theologen und Theologinnen das Wort an die Gesellschaft richten.
    Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben den Auftrag, die Bevölkerung zu informieren, zu bilden und zu unterhalten. Sie sollen die "Grundversorgung" der Bürger an Information vorhalten, und sie sollen diese diverse und plurale Gesellschaft durch Information und Diskurs integrieren. Dazu gehört die kritische Berichterstattung über die Kirchen und Religionen im Gemeinwesen. Dies geschieht in den sogenannten Fachredaktionen für Religion und Kirche in den öffentlich-rechtlichen Anstalten.
     

    Verkündigung in festen kirchlichen Sendeplätzen 

    Neben der kritischen Berichterstattung über die Kirchen kommen Christen  im öffentlich-rechtlichen Programm mit Beiträgen zu Themen der Gesellschaft aus der Sicht christlicher Verkündigung zu Wort. Dies ist gefasst und verstanden als Wort der Kirchen an die Gesellschaft und darf nicht als Institutionenwerbung verstanden werden. So ist es zum Beispiel untersagt, Spendenwerbung und andere Appelle kirchlicher Institutionen zu unterstützen. 
    Aus dem sogenannten "Drittsenderecht der Kirchen", das in den Rundfunkverträgen bezüglich der öffentlich-rechtlichen Anstalten festgehalten ist, hat sich innerhalb von 60 Jahren eine Kooperation entwickelt, die in geteilter Verantwortung die Programme des je anderen stützt.
     

    Kommerzielle Sender

    Die privaten Vollprogramme im Fernsehen zeigen kurze verkündigende Spots ("Bibelclip" auf RTL oder "So gesehen" auf Sat1). Die Sender vergeben diese Programme als von ihnen finanzierte Aufträge an kirchliche Produktionsgesellschaften. Die rechtliche Grundlage hierfür ist ein Vertragsverhältnis der beiden Kirchen mit den privaten Sendern.
     

    Zulieferung zum Sender 

    Vor allem im Hörfunkbereich hat sich das sogenannte Agenturmodell als Kooperationsmodell mit privaten Hörfunksendern eingebürgert. Das bedeutet: Kirchliche Presseverbände und Medienhäuser haben Hörfunkabteilungen, die Beiträge aus dem Raum der Kirche sowie christliche Verkündigungssendungen an lokale und länderübergreifende Sender liefern. Sie stehen mit den kirchlichen Hörfunkagenturen in einem Vertragsverhältnis, das einen gewissen Umfang christlicher Programmzulieferung garantiert, wobei die Sender diese Zulieferung honorieren.
     

    Beteiligungsmodell

    Eine andere Art der Kooperation im dualen Mediensystem, bezogen auf die kommerziellen Sender, ist eine gesellschaftsrechtliche Beteiligung an den privaten Rundfunkgesellschaften. Kirchliche Verbände wurden Anfang der 80er Jahre Teilhaber an neu gegründeten privaten Gesellschaften, in denen sich die Rundfunkanbieter organisierten. Damit tragen sie zugleich das finanzielle Risiko dieser Gesellschaften bzw. sind am Gewinn beteiligt.
     

    Beilagemodell

    Ein anderes Kooperationsmodell im Mediensystem initiierte die Evangelische Kirche in Deutschland im Jahr 2001. In dem Verlag des Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik wird das Magazin "Chrismon" verantwortet, das in einer Auflagenhöhe von ca. 1,6 Millionen Exemplaren erscheint. Große Zeitungsverlage bieten günstige Konditionen und legen das Heft einmal im Monat bei. Zu nennen sind an dieser Stelle: DIE ZEIT, die Süddeutsche Zeitung, die Frankfurter Allgemeine Zeitung, Die Welt sowie die Mitteldeutsche Zeitung und die Schweriner Volkszeitung (vgl. chrismon.evangelisch.de).
     

    Kirche als Medienunternehmerin

    Die christlichen Kirchen haben Medienwerke gegründet, in denen die publizistischen Unternehmungen organisiert und zusammengefasst sind. Dies ist in Vereinen oder gemeinnützigen Gesellschaften geschehen. Diese Medienwerke (z.B. GEP oder die Evangelischen Presseverbände der Landeskirchen) sind formell journalistisch unabhängig von der Kirche, aber zugleich an den Verkündigungsauftrag der Kirchen gebunden.
    In diesen Werken sind die evangelischen Redaktionen angesiedelt und es werden die Print- bzw. Rundfunkpublikationen verantwortet, sofern sie mit kommerziellen Anbietern zusammenarbeiten. Hier sind die Presseagenturen organisiert und evangelische Buchverlage eingegliedert. Hier arbeiten in der Regel professionelle Journalisten, Verlagsmitarbeiter und Medienmacher, die die mediale Verständigung der Christen untereinander organisieren, den innerchristlichen Diskurs zu Themen des Glaubens, des Lebens und der Gesellschaft vorantreiben und die kirchlichen Institutionen christlich loyal und journalistisch kritisch begleiten.
    Auch im kommerziellen Rundfunkbereich hat sich die Kirche als Unternehmerin engagiert. So gibt es eigenständige kirchliche Rundfunk- und Fernsehsender wie z.B. Radio Paradiso (evangelisch), Bibel TV (ökumenisch und freikirchlich) und Domradio (katholisch).
    Im Fernsehproduktionsmarkt weisen die Kirchen zum Teil eigene Produktionsgesellschaften auf. Eine Reihe von Landeskirchen sind zudem Gesellschafter einer bundesweit arbeitenden evangelischen Produktionsgesellschaft, die Beiträge vorwiegend für die öffentlich-rechtlichen Anstalten produziert. Die Firma EIKON ist – ebenso wie ihr katholisches Pendant die TELLUX – eine große deutsche Produktionsgesellschaft, die mit ihren Töchtern in allen Genres der Fernsehproduktion arbeitet, von Verkündigungssendungen bis zu Primetime-Spielfilmen wie "Tatort" oder "Unter Verdacht". Diese Produktionsgesellschaft stellt Filme her, die in den unterschiedlichsten Formaten von einem christlichen Menschenbild herkommend zu hochrelevanten Themen Stellung nehmen oder Debatten eröffnen beispielsweise zur Sterbehilfe, zu den Fragen nach der Verteilung der Güter oder denen nach Schuld sowie zu Sühne und Vergebung.
    Im Bereich des christlichen Medienunternehmertums sind insbesondere die Freikirchen sehr aktiv. Sie betreiben neben sehr erfolgreichen Zeitschriften und Buchverlagen auch eigene Rundfunk- und Fernsehsender (Bibel TV oder ERF – Evangeliums-Rundfunk).
     

    Kirchliche Selbstdarstellung: Intervention in öffentliche Diskurse

    Die Institution Kirche und ihre Landeskirchenämter haben in den vergangenen Jahren angesichts der sich diversifizierenden Öffentlichkeiten ihre Referate und/oder Ämter für Öffentlichkeitsarbeit stark ausgebaut und professionalisiert (zum Teil auch auf Kosten der journalistischen Arbeit). Hier werden Pressemeldungen herausgegeben, die an alle relevanten Medien verschickt werden – als Berichterstattung und Instrument der Transparenz kirchlicher Arbeit gegenüber der gesellschaftlichen Öffentlichkeit. Gesellschaftliche Interventionen von kirchlichen Repräsentanten werden veröffentlicht, ebenso die kirchlich-institutionelle Kommentierung politischer Ereignisse. Darüber hinaus wird hier die Kommunikation mit den Gemeinden organisiert und die Internetplattformen mit der Selbstdarstellung der Organisation verantwortet. In den Öffentlichkeitsreferaten wird auch der Jahresgeschäftsbericht der Kirche publiziert und dabei Rechenschaft ablegt über die Verwendung von Kirchensteuern. Somit sind die Öffentlichkeitsreferate sozusagen interne und externe Kommunikationsabteilungen der Kirchen als Institutionen. 

     

    Zusammenfassung und Plädoyer

    Die Darstellung der kirchlichen Handlungsfelder und Kooperationen der Kirchen mit der medialen Öffentlichkeit in Deutschland hatte das Ziel zu zeigen, welche Perspektiven und Strategien der Kooperation es zwischen Gesellschaft und Religion gibt, die Ressourcen der Religion zum Allgemeinwohl der Gesellschaft einzusetzen. Dabei versteht sich die christliche Religion in Gestalt ihrer unterschiedlichen Konfessionen als Partnerin der demokratischen Gesellschaft bei dem Streben nach Frieden und Gerechtigkeit aller Bürger. Zu unterscheiden sind dabei die unterschiedlichen Horizonte: einmal der Blick von außen, in dem Religion in ihren pluralen Gestalten als eine wichtige Gesprächspartnerin für eine tolerante Gesellschaft verstanden wird. Die Perspektive von Innen feiert die eigene religiöse Wahrheit, ohne sie als Absolutheitsanspruch auf den Staat und die Gesellschaft zu übertragen. Der Verkündigungsauftrag der Kirchen in der medialen Öffentlichkeit geschieht in diesem Geist der unterschiedlichen Blickwinkel von "Außen" und von "Innen". Er versteht sich als öffentliche Theologie oder als öffentliche Seelsorge im Sinne des Gemeinwohls aller.

    Ergänzungen der GPM (redaktionell hinzugefügt)

    (1) Explizite Thematisierung:

    Ev 11.1 Was ist wahr? – Wahrnehmung und Wirklichkeit 
    mediale Konstruktion von Wirklichkeit: eine ausgewählte Problemstellung der Medienethik (z.B. Verhältnis von Medienwirklichkeit und Realität, Verlässlichkeit von Informationen, Persönlichkeitsschutz)

    Ev 12.2 Was soll ich tun? – Die Frage nach der richtigen Lebensführung
    Grundlagen christlicher Ethik kennen und die Frage nach dem Handeln des Christen in der Welt reflektieren
    Quellen christlicher Ethik nach evangelischem Verständnis; angemessener Umgang mit der Bibel

    ER12 Lernbereich 1: Mittendrin!? – Christsein in der Gesellschaft
    KE: Die SuS 
    • beschreiben und diskutieren die Rolle der Kirche in der gegenwärtigen Gesellschaft.
    • erörtern die gewählte Problemstellung aus christlicher Perspektive und beziehen dabei theologische Modelle zur Begründung von Sozialethik ein. 
    • Rolle der Kirche in der Gesellschaft: Wahrnehmungen, Erwartungen, Aktivitäten
    • gesellschaftliche Herausforderungen, z.B. Arbeitslosigkeit, demografischerWandel, Migration, Fragen der Sozial-, Umwelt- oder Wirtschaftspolitik
    Inhalte dazu: christliche Perspektive, z.B. im Schöpfungsgedanken begründete Menschenwürde und Solidarität, Gerechtigkeitsvorstellungen in der alttestamentlichen Prophetie; ggf. Argumente aus EKD-Denkschriften
    • theologische Modelle zur Begründung von Sozialethik: Luthers Unterscheidung der zwei Reiche und Regimente, Barths Modell der "Königsherrschaft Christi"; ggf. Aspekte der Befreiungstheologie und politischen Theologie

    ER12 Lernbereich 2: Die Frage nach dem guten Leben
    KE: Die SuS 
    • deuten Grundgedanken christlicher Ethik im Horizont der Frage nach dem guten Leben und leiten daraus Konsequenzen ab für verantwortliches Urteilen und Handeln.
    • erschließen ein komplexes Thema aus einem ethischen Problemfeld sachgerecht und differenziert und formulieren daraus präzise ethische Fragestellungen. 
    • bringen zum gewählten Thema theologische und nichttheologische Beiträge miteinander ins Gespräch und erproben und vertreten eigene Standpunkte.
    Inhalte dazu: 
    • christliches Verständnis guten Lebens aus der Perspektive des Rechtfertigungsglaubens: Grundgedanken wie Relativierung des eigenen Handelns, Befreiung zum verantwortlichen Handeln; dazu biblische Grundlagen wie Indikativ, Imperativ, Dekalog, Doppelgebot und Bergpredigt
    • ein Thema aus der Medizin-, Wirtschafts-, Friedens- oder Medienethik: Sachlage, aktuelle Quellen, kontroverse Stellungnahmen, Konflikte, Zusammenhänge; ggf. Beteiligte und ihre Rollen

    ER9 Lernbereich 1: Frei im Netz!?
    KE: Die Schülerinnen und Schüler erörtern Beispiele für einen problematischen Umgang mit Menschen im Internet und leiten aus einem christlichen Verständnis von Menschenwürde Konsequenzen für eigene Internetaktivitäten ab
    Inhalte dazu: Freiheiten durch digitale Vernetzung, z.B. Unabhängigkeit von zeitlichen und lokalen Begrenzungen, freie Wahl der Unterhaltung, Hilfen im Alltag, Teilhabe an Information, politische Mitbestimmung, Austausch über Kulturgrenzen hinweg

    (2) Weitere Anknüpfungsmöglichkeiten:

    ER8 Lernbereich 2: Propheten und die Frage nach Gerechtigkeit

    KE: Die SuS nehmen Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit im eigenen Leben und in der Gesellschaft wahr und erläutern Ursachen und Folgen an einem Beispiel;
    erklären am Beispiel einer prophetischen Tradition des Alten Testaments, was Propheten auszeichnet und wie sie sich im Namen Gottes für Gerechtigkeit einsetzen; deuten den prophetischen Kampf gegen Götzen als Kritik an Mächten und Ideologien, die den Menschen ganz beanspruchen wollen, und setzen sich damit in Bezug auf eigene Lebenserfahrungen auseinander; erörtern, wie Menschen sich für Gerechtigkeit engagieren, und beschreiben Ähnlichkeiten und Differenzen zu biblischen Propheten.
    Inhalte dazu: prophetisches Verständnis von Gerechtigkeit auf der Basis der Tora: Leben in geschenkter Freiheit (Rückbezug auf Exodus), Orientierung an den Schwachen, Hoffnung auf endzeitlichen Frieden; dazu Beispiele für die Kritik der Propheten an lebensfeindlichen Götzen und ihr Werben um Treue zu dem lebendigen Gott; ggf. aktuelle Beispiele für lebensfeindliche Ideologien

    Arnheim, R.: Film als Kunst, in: Albersmeier, F.-J. (Hg.): Texte zur Theorie des Films, Stuttgart 1979, 179–203.
    Arnheim, R.: Glanz und Elend des Photographen, Köln 1991, 156–165.
    Arnheim, R.: Rundfunk als Hörkunst, in: Arnheim, R.: Der Rundfunk sucht seine Form, München/Wien 1933.
    Arnheim, R.: Wir denken zu viel und sehen zu wenig. Im Gespräch: Rudolf Arnheim, in: Psychologie heute 4 (1979), 23–29.
    Arnheim, R., Diederichs, H.: Kritiken und Aufsätze zum Film, Frankfurt a. M. 1979.
    Calhoun, C.: Nachwort: Die vielen Mächte der Religion, in: Mendieta, E. und VanAntwerpen, J. (Hg.): Religion und Öffentlichkeit, Berlin 2012, 170–194.
    Dabrock, P.: Befähigungsgerechtigkeit. Ein Grundkonzept konkreter Ethik in fundamentaltheologischer Perspektive, Gütersloh 2012.
    Deutsche Bischofskonferenz: Grundpositionen kirchlicher Medienpolitik – elektronische Medien, in: Communio Socialis 18 (1985), 54–61.
    Geisendörfer, R.: Für die Freiheit der Publizistik, Stuttgart/Berlin 1978.
    Gerhardt, V.: Öffentlichkeit. Die politische Form des Bewusstseins, München 2012.
    Haberer, J.: Der Dialog der Religionen. Eine Zukunftsaufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, in: Drägert, C. und Fricke-Hein, H. (Hg.): Medienethik. Freiheit und Verantwortung. Festschrift zum 65. Geburtstag von Manfred Kock, Stuttgart & Zürich 2001, 281–290.
    Haberer, J.: Digitale Theologie. Gott und die Medienrevolution der Gegenwart, München 2015.
    Haberer, J.: Theologische Medienethik – von der Geschichte in die Zukunft, in: Ulshöfer, G. (Hg): Theologische Medienethik im digitalen Zeitalter, Stuttgart 2018.
    Habermas, J.: Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, Frankfurt am Main 2010.
    Heimbach-Steins, M.: Religion zwischen Privatheit und Öffentlichkeit. Eine christlich-ethische Perspektive, in Dürnberger, M. (Hg.): Öffentlichkeiten, Innsbruck/ Wien 2018, 23–77.
    Helmke, J.: Kirche, Film und Festivals. Geschichte sowie Bewertungskriterien evangelischer und ökumenischer Juryarbeit in den Jahren 1948 bis 1988 (Studien zur Christlichen Publizistik XI), Erlangen 2005.
    Kant, I.: Vom Ewigen Frieden, Berlin 1995.
    Kant, I.: Was ist Aufklärung, Berlin 1783.
    Kirchenamt der Evangelische Kirche in Deutschland: Chancen und Risiken der Mediengesellschaft. Gemeinsame Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Hannover 1997.
    Kirchenamt der Evangelische Kirche in Deutschland: Das rechte Wort zur rechten Zeit. Gemeinsame Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gütersloh 2008.
    Kirchenamt der Evangelische Kirche in Deutschland: Mandat und Markt – Perspektiven evangelischer Publizistik. Publizistisches Gesamtkonzept 1997, Frankfurt am Main 1997 (abgekürzt als Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland 1997).
    Kirchenamt der Evangelische Kirche in Deutschland: Publizistischer Gesamtplan der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gütersloh 1979.
    Krüger, O.: Die mediale Religion. Probleme und Perspektiven der religionswissenschaftlichen und wissenssoziologischen Medienforschung, Bielefeld 2012.
    Meier, M.: Freiheit und Verantwortung. Die Christliche Presse-Akademie. Ein Engagement für den demokratischen Journalismus in Reaktionen auf das Dritte Reich, Erlangen 2003.
    Renan, E.: 1889: zit. n. Faulstich, W.: Die Geschichte der Medien, Bd. 1: Das Medium als Kult, Göttingen 1997.
    Schlaich, K.: Der Öffentlichkeitsauftrag der Kirchen. in: Listl, J. und Pirson, D. (Hg.): Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland 2, (1995), 131–180.
    Utzschneider, H.: Performativität, wird in De Gryter 2020 erscheinen.
    West, C.: Die prophetische Religion und die Zukunft der kapitalistischen Welt, in: Mendieta, E. und Van Antwerpen, J. (Hg.): Religion und Öffentlichkeit, Berlin 2012, 134–147.
     

    Links

    http://chrismon.evangelisch.de
    http://www.erfurter-netcode.de
    http://www.wacc.org.uk

    Veröffentlicht am 12.10.2017 (Version 1.0).

    Zitierweise:
    Haberer, J.: Art. "Öffentlichkeit (Kirche und Öffentlichkeit)" (Version 1.0 vom 12.10.2017), in: Ethik-Lexikon, verfügbar unter: https://www.ethik-lexikon.de/lexikon/oeffentlichkeit-kirche-und-oeffentlichkeit.