"Si vis pacem para pacem" (Wenn du den Frieden willst, bereite den Frieden vor) – mit dieser Maxime lässt sich das Leitbild des gerechten Friedens beschreiben, das vor allem in Deutschland, aber auch in großen Teilen der weltweiten ökumenischen Bewegung als Konsens in friedensethischen Fragen gelten kann. Damit verbunden ist ein Paradigmenwechsel: Nicht mehr der Krieg, sondern der Frieden steht im Fokus des neuen Konzeptes. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat diesen Perspektivenwechsel hin zum gerechten Frieden einschließlich der rechtserhaltenden Gewalt vor fast zehn Jahren in ihrer Friedensdenkschrift ausformuliert. Der gerechte Frieden arbeitet dabei mit einem weiten Friedensbegriff, der mehr einschließt als nur die Abwesenheit oder den Schutz vor Gewalt. Zentral sind vielmehr auch Aspekte wie soziale Gerechtigkeit, Rechtsstaatlichkeit, Achtung der Menschenrechte und Sicherheit für alle Menschen. Dennoch bleibt die Frage nach der Anwendung von Waffengewalt auch für den gerechten Frieden zu diskutieren, gilt diese nach wie vor als äußerste Option. Dabei erweist sich militärisches Handeln per se als problematisch, da es immer noch durch Gewalt bestimmt ist, selbst wenn diese nur letztes Mittel sein soll. Eine Kernfrage des Konzeptes des gerechten Friedens ist es, wann man von Frieden sprechen kann, welche Faktoren hier berücksichtigt werden müssen und welcher Zusammenhang zwischen Frieden und Gerechtigkeit besteht.

    Basisinformationen

    Erstmals wurde das Konzept des gerechten Friedens bei der ökumenischen Versammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung 1988/89 in der damaligen DDR prominent diskutiert: Seine Grundorientierung zielte darauf ab, das während des Ost-West-Konflikts und unter den Bedingungen des nuklearen Abschreckungssystems in der nördlichen Hemisphäre vielfach vorherrschende Verständnis von Friedenspolitik als lediglich abrüstungsorientierter Kriegsverhütung zu korrigieren; indem sie einerseits die Forderung der Entwicklungsländer nach globaler Verteilungsgerechtigkeit, andererseits den Schutz der Menschenrechte mit der Friedensaufgabe verband.

    Die Wurzeln der Verbindung von Frieden und Gerechtigkeit liegen in der biblischen Tradition. Der erhoffte ewige Friede ist vom irdischen Frieden gewiss zu unterscheiden, aber nicht zu trennen. Der religiöse Sinngehalt des Friedens schließt seine weltliche Dimension ein.

    Der Ausgangspunkt des Friedens ist die von Gott gewährte Versöhnung des Menschen mit ihm und untereinander. Das biblische Friedensverständnis ist untrennbar mit Gerechtigkeit verbunden, Frieden und Gerechtigkeit stehen dabei nicht in einem einfachen Zweck-Mittel-Verhältnis zueinander. Ausgehend beispielsweise von Psalm 85,11, "dass Gerechtigkeit und Frieden sich küssen" sowie Jesaja 32,17 "der Gerechtigkeit Frucht wird Friede sein" werden Frieden und Gerechtigkeit wechselseitig aufeinander bezogen. Der Frieden als "Werk" oder "Frucht" der Gerechtigkeit ist nicht äußerliches Resultat eines davon unabhängigen Handelns, vielmehr kann das friedensstiftende gerechte Handeln seinerseits nur im Frieden geschehen und aus ihm hervorgehen. Die Praxis des gerechten Friedens ist die Einheit von Vollzug und Resultat; die Mittel müssen bereits durch den Zweck qualifiziert, die Methoden müssen für das Ziel transparent sein. Gerechtigkeit wird dabei als eine soziale Praxis der Solidarität verstanden. Die Praxis des gerechten Friedens konvergiert mit einem mehrdimensionalen und weiten oder positiven Friedensbegriff, der sich als sozialethisches Leitbild und Kern eines wissenschaftlichen Konsens in die politische Friedensaufgabe einbringen lässt.

    Frieden ist dabei kein Zustand, sondern ein Prozess, der in innerstaatlicher wie in zwischenstaatlicher Hinsicht auf die Vermeidung von Gewaltanwendung, die Förderung der Freiheit und den Abbau von Not gerichtet ist. Zusammen mit der Komponente der Anerkennung kultureller Vielfalt bilden diese Faktoren die vier Dimensionen des gerechten Friedens in der evangelischen Friedensdenkschrift. Die erste Dimension des Friedens besteht in der Vermeidung von und im Schutz vor physischer Gewalt. Die zweite Dimension liegt in der Förderung der Freiheit: Innerstaatlich ist es den demokratischen Rechtsstaaten gelungen, das Gewaltmonopol rechtsstaatlich einzuhegen, durch Gewaltenteilung zu kontrollieren, durch den Schutz von Grundfreiheiten zu begrenzen und für demokratische Beteiligung zu öffnen. Abbau von Not als dritte Dimension bedeutet die Bewahrung natürlicher Ressourcen und Verringerung der Ungerechtigkeit in der Verteilung materieller Güter, christlich auch als Option für die Armen formuliert. Die Orientierung an der Norm sozialer Gerechtigkeit im heutigen Kontext der Weltgesellschaft bedarf einer genaueren Bestimmung von Adressaten und Arten der Verpflichtung. Eine vierte Dimension, die neu hinzugetreten ist, liegt in der Anerkennung kultureller Vielfalt.

    Frieden dient der menschlichen Existenzerhaltung und Existenzentfaltung; er muss deshalb immer und in jeder seiner Dimensionen auf der Achtung der gleichen menschlichen Würde aufbauen. Die Idee der Menschenwürde ist dabei auch für andere religiöse Begründungssysteme offen. Gerechtigkeit lässt sich weiter als "Tugend" sozialer Institutionen bestimmen: Der Prozess politischer Friedensstiftung beginnt nicht mit der Gerechtigkeit, sondern er vollendet sich durch sie.

    Die politische Gerechtigkeit, an der sich eine Weltfriedensordnung als Rechtsordnung orientieren muss, findet ihre Konkretisierung in den Menschenrechten. Hierbei handelt es sich um vorstaatlich begründete Rechte mit universalem Gültigkeitsanspruch, die in ihrem materiellen Gehalt unteilbar sind. Sie sind aber immer an die Existenz staatsförmiger politischer Gemeinwesen gebunden, daraus entsteht Ambivalenz: Ohne die Existenz des staatlichen Gewaltmonopols müssten menschenrechtliche Garantien nicht eingefordert, aber ohne die Präsenz funktionierender Staatlichkeit könnten sie auch nicht gewährleistet werden. Die Implementierung von Menschenrechten ist nicht an staatlich organisierten Gemeinwesen, sondern nur in ihnen und durch sie zu verwirklichen.

    Der gerechte Frieden gilt vor allem im deutschen Kontext als politisch-ethisches Leitbild. Dessen Tragkraft wurde dann im sogenannten Afghanistanpapier, der Stellungnahme der Kammer für Öffentliche Verantwortung der EKD, aus dem Jahr 2013 weiter diskutiert. Die Aufgabe der Stellungnahme war die Klärung der Frage, welche Orientierungskraft dem gerechten Frieden als Leitbild in konkreten politischen Entscheidungssituationen zukommt (vgl. EKD 2013: 8). Die Schrift zeichnet sich nun durch verschiedene "argumentative Gabelungen" (EKD 2013: 9) aus, die die unterschiedlichen friedensethischen Positionen widerspiegeln. So offenbart diese Kompromisslösung das Spannungsverhältnis zwischen Normativität und empirischer Anwendbarkeit friedensethischer Perspektiven, wie sie auch in der EKD-Friedensdenkschrift von 2007 niedergelegt sind.

    Mit dieser Spannung verbindet sich zugleich die Frage nach dem Stellenwert eines Leitbilds in der friedensethischen Debatte, werden mit dem Begriff vor allem ökonomische, verwaltungstechnische oder institutionelle Kontexte assoziiert. Im deutschen Kontext steht das Konzept des gerechten Friedens im Mittelpunkt zweier kirchlicher Stellungnahmen: dem katholischen Hirtenwort aus dem Jahr 2000 und der EKD-Friedensdenkschrift von 2007. Hinzu kommt der ökumenische Aufruf von 2011. Dabei verknüpfen die einzelnen Schriften Leitbild und gerechten Frieden auf unterschiedliche Weisen: Am ausführlichsten und differenziertesten setzt sich das katholische Bischofswort von 2000 mit dem Begriff des Leitbilds auseinander.

    a. Friedenswissenschaftliche Zugänge

    Die friedenswissenschaftliche Debatte ist ungeheuer breit und zeichnet sich durch multiperspektivische Zugänge aus. Zahlreiche Themen, die mit dem Konzept des gerechten Friedens verwandt sind, werden hier diskutiert. Eine der Herausforderungen gegenwärtiger Friedensethik ist die Frage der Legitimität und der Rechtmäßigkeit militärischer humanitärer Interventionen sowie friedenserhaltender Interventionen generell. Exemplarisch sei innerhalb dieses Debattenzusammenhangs auf das Spannungsverhältnis zwischen Frieden und Gerechtigkeit verwiesen, welches in der Forschung bis heute intensiv debattiert wird. In der Anfangsphase der deutschen Friedensforschung richteten sich die meisten Arbeiten darauf, den Begriff des negativen Friedens, verstanden als Abwesenheit von organisierter physischer Gewalt, zu öffnen. Besonders der Ansatz Johan Galtungs fand hier Zustimmung. Dieser wehrte sich dagegen, einem Zustand, der sich zwar durch die Abwesenheit direkter, personaler Gewalt, gleichzeitig aber durch große Ungerechtigkeit und Repression auszeichnet, uneingeschränkt das Prädikat des Friedens zu verleihen. Daher unterschied er zwischen der direkten physischen Gewalt und der strukturellen Gewalt, verstanden als gesellschaftlich vorenthaltene Chance auf Entfaltung und Glück, und stellte diesen Zuständen von Gewalt die Begriffe des negativen und des positiven Friedens gegenüber (vgl. Galtung 1971). Dieser korrespondiert mit sozialer Gerechtigkeit. In der Forschung ist seitdem wieder ein Bemühen um begriffliche Fokussierung und Unterscheidungsfähigkeit zu beobachten. Tatsächlich wurde die Öffnung des engen Friedensbegriffs mit einer erheblichen analytischen Unschärfe erkauft. Eine Stärke liegt jedoch darin, dass auch die biblische Redeweise vorethischer und vormoralischer Natur ebenfalls weit gedacht ist: Sie appelliert an eine Tiefendimension der Erfahrung und des Selbstverständnisses, die allem Handeln und aller Handlungsrationalität voraus liegt, sie aber eben deshalb neu ausrichten und orientieren kann.

    Weiter ist die Unterscheidung zwischen dem gerechten Frieden als Überwindung der Lehre vom gerechten Krieg oder als umfassendes friedensethisches Grundparadigma zu thematisieren. Die Lehre vom gerechten Kriege geht ursprünglich auf Cicero zurück und wurde von Augustin entwickelt und von Thomas von Aquin weitergedacht. Sie differenziert zwischen dem Recht zum Kriegführen (ius ad bellum) und der rechtmäßigen Kriegsführung (ius in bello). Das ius ad bellum beinhaltet sechs Kriterien: legitime Autorität, gerechter Grund, rechte Absicht, letztes Mittel, Aussicht auf Erfolg und Verhältnismäßigkeit der Mittel.

    Das ius in bello umfasst zwei Kriterien: Verhältnismäßigkeit der Mittel und die Unterscheidung zwischen Soldaten und Zivilisten. Die EKD-Denkschrift erklärt die Lehre vom gerechten Krieg als überholt durch das Konzept des gerechten Friedens, ist dann aber bei der Diskussion militärischer Gewalt als äußerstes Mittel erneut auf die Kriterien des gerechten Krieges angewiesen.
     

    b. Völkerrechtliche Debatten

    Ein globaler gerechter Frieden ist nicht in einem Ordnungsmodell zu verwirklichen, wie es der Epoche des klassischen neuzeitlichen Völkerrechts zugrunde lag. Der gerechte Frieden ist weder mit dem Modell von Staaten als vollständig unabhängige politische Einheiten noch mit dem eines Weltstaats zu vereinbaren. Der Zielperspektive eines gerechten Friedens entspricht insofern ein drittes, "mittleres" Modell, nämlich das Projekt einer kooperativ verfassten Weltgesellschaft ohne Weltregierung. Institutionelles Mittel einer solchen Weltordnung sind internationale Organisationen, die einerseits durch verstärkte Politikkoordination und Verrechtlichung der Beziehungen zu dichterer Interdependenz zwischen den Staaten führen, andererseits aber auch einen Prozess befördern, in dem die essentiellen friedenspolitischen Aufgaben wie der Schutz vor militärischer Gewalt, die Förderung der Freiheit und der Abbau von Not durch partiellen Souveränitätsverzicht der Einzelstaaten an supra- und transnationale Instanzen delegiert werden.

    Das Problem der Friedenssicherung ist legitim lösbar durch ein bündisches System kollektiver Sicherheit, wie es in der UN-Charta vorgezeichnet ist. Ein System kollektiver Sicherheit richtet sich nicht nach außen, sondern ist auf Binneneffekte angelegt. Für die völkerrechtliche Debatte ist vor allem der dezidierte Fokus des Konzeptes des gerechten Friedens auf Frieden durch Recht zu diskutieren. Hier wird dem internationalen Recht eine zentrale, auch normative Rolle, zugemessen.

    Auch die Zentralstellung der Menschenrechte für den gerechten Frieden ist näher zu untersuchen. Welche Rolle und welcher Begründungszusammenhang kommen ihnen zu? Wie kann ihre Durchsetzung nachhaltig sichergestellt werden?

    Eine weitere Herausforderung liegt in der Responsibility to Protect (R2P). Diese, auch Schutzverantwortung genannt, stellt ein Konzept der internationalen Politik dar, das Menschen in Konfliktregionen vor schweren Menschenrechtsverletzungen und Brüchen des humanitären Völkerrechts schützen möchte. Zunächst wird so der Einzelstaat für den Schutz seiner Bevölkerung in die Pflicht genommen. Sollte dieser der Aufgabe nicht mehr nachkommen können, kann die internationale Staatengemeinschaft zum Schutz der bedrohten Bevölkerung eingreifen.
     

    c. Evangelische Fachdebatte

    Für die aktuelle friedensethische Debatte im Protestantismus sind zwei Momente kennzeichnend: zum einen die Betonung des Paradigmas, Frieden durch Recht, die den Vereinten Nationen eine entscheidende Schlüsselstellung zur Friedenssicherung einräumt und zum anderen der Verantwortungspazifismus, der sich vor allem mit Gewalt als letztes Mittel auseinandersetzen muss.

    Außerdem stellt sich die Frage des Umgangs mit dem biblischen Befund und der kirchlichen Tradition. Grundlegend: Können die Visionen des Alten und Neuen Testaments von Frieden und Gerechtigkeit in konkrete politische Realität in einer unerlösten Welt übersetzt werden? Und welche normative Legitimität kommt den biblischen Aussagen zu Krieg und Frieden zu?

    Gerade zum Thema (militärischer) Gewalt etwa lassen sich sowohl gewaltförderliche wie gewaltablehnende biblische Textstellen finden, die dann gewichtet und beurteilt werden müssen. Ähnlich stellt sich die Situation für den Zusammenhang von Recht und Frieden dar.

    Es gilt: "Ist in der theologischen Tradition ein die menschlichen Fähigkeiten letztlich stets transzendierender Friedensbegriff im Blick, so muss eine auf diese Friedenstradition rekurrierende friedensethische Position, die mit dem Anspruch verbunden ist, dass ihr Friedensbegriff auf die realen politischen Prozesse bezogen werden kann, stets jene Friedensbedingungen in den Blick nehmen, die in institutioneller und in individueller Hinsicht menschlichem Vermögen überhaupt zugänglich sind" (Strub 2010: 51).
     

    d. Evangelische Friedenspraxis

    Für den Diskurs um den gerechten Frieden ist auch die evangelische Friedenspraxis in zahlreichen Vereinen und Verbänden in Deutschland zentral. Diese einzelnen Initiativen (insgesamt 34) sind im Dachverband der Arbeitsgemeinschaft Dienste für den Frieden (AGDF) mit Sitz in Bonn organisiert. Zentrale Säulen sind hier Friedenserziehung, regionale Kampagnen zu Fragen von Rüstung, Abrüstung und Konversion sowie Entsendedienste für einen internationalen Freiwilligendienst für Jugendliche oder für Friedensfachkräfte im internationalen Kontext (z.B. Eirene). Zahlreiche Vereine engagieren sich auch und vor allem im Bereich der gelebten Gewaltfreiheit, etwa der gewaltfreien Kommunikation. Der ökumenische und der interreligiöse Dialog haben hier ebenso eine große Bedeutung, wie sich etwa an der Zusammenarbeit mit der katholischen Organisation Pax Christi und mit mehreren muslimischen Organisationen erkennen lässt. Auch die EKD-Denkschrift von 2007 weist diesen einen wichtige Rolle zu: "Wer aus Gottes Frieden lebt, tritt für den Frieden in der Welt ein. Bei aller Vielgestaltigkeit und Unterschiedlichkeit, die das Engagement von Christen und Kirchen für den irdischen Frieden kennzeichnet, geht es immer zurück auf Gottes Verheißung und Gebot und ihren gemeinsamen Glauben" (EKD 2007, Ziff. 36).

    Schließlich ist auch die Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerer (EAK) zu nennen. Diese ist ein kirchlicher Dienst innerhalb der EKD für Kriegsdienstverweigerer und Zivildienstleistende sowie diejenigen, die vor der Entscheidung stehen, Militärdienst zu leisten oder den Dienst mit der Waffe zu verweigern.
     

    e. Ökumenische Dimensionen

    Das Konzept des gerechten Friedens wird auch in der weltweiten Ökumene und im Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) diskutiert. Der ökumenische friedensethische Diskurs ist dabei offen und unabgeschlossen. In ihrer "Erklärung über den Weg des Gerechten Friedens" hat die 10. Vollversammlung des ÖRK in Busan 2013 die Leitvorstellung des gerechten Friedens aufgenommen, die zuvor in den unterschiedlichen kirchlichen Erklärungen entfaltet und in den Jahren von 2008 bis 2011 in einem intensiven ökumenischen Studien- und Konsultationsprozess kritisch geprüft und vertieft wurde. Der gerechte Frieden wird hier vor allem als Prozess verstanden.

    Es geht dabei nach den Worten der Erklärung um einen "grundlegende[n] Bezugsrahmen für kohärente ökumenische Reflexion, Spiritualität, Engagement und die aktive Friedensarbeit" (Link 2014: 339). Dies bedeutet noch nicht die Anerkennung des gerechten Friedens als Leitbild – dies stellt gerade für orthodoxe Kirchen eine große theologische Herausforderung dar. Der ÖRK führt den Impuls weiter im "Pilgerweg für Gerechtigkeit und Frieden", der ebenfalls in dieser Vollversammlung beschlossen wurde.
     

    f. Konsequenzen

    Seit der Evangelischen Friedensdenkschrift vor zehn Jahren hat sich die Weltlage ganz erheblich verändert. Der sog. Arabische Frühling stellte die Welt vor neue Herausforderungen. Während in Libyen im Namen der Responsibility to Protect interveniert wurde, fand sie in Syrien keine Anwendung. Eine Lösung in der Region ist in weiter Ferne. Millionen Menschen sind auf der Flucht. Die Frage des Umgangs mit bewaffneten Konflikten außerhalb Europas ist so nahe auch an Deutschland herangerückt und ihre Konsequenzen sind nun auch hier vor Ort erfahrbar.

    Die Bedrohung durch den Islamischen Staat aktualisiert sich immer neu, wie mit dieser umzugehen ist, scheint vollkommen ungeklärt. Nicht nur die sogenannten nicht internationalen bewaffneten Konflikte und der transnationale Terrorismus fordern die internationale Gemeinschaft heraus, auch jene Konflikte, um die es augenblicklich in den Medien stiller geworden ist, machen doch gesamteuropäische Lösungen nötig.

    Blickt man auf diese politischen Realitäten, scheinen zivile und vor allem gewaltfreie Konfliktbearbeitungsmöglichkeiten in weite Ferne gerückt. Außerdem stellen qualitativ neuartige Entwicklungen – beispielsweise autonome Waffensysteme im Bereich der Rüstung oder auch der Cyberwar als eine neue Form der Kriegsführung – besondere Schwierigkeiten dar.

    Die EKD-Denkschrift und damit auch das Konzept des gerechten Friedens sind also nun zur Reaktion auf Situationen gezwungen, die sich in den letzten zehn Jahren entwickelt haben. So ist es nötig, Analysen fortzuführen und zu aktualisieren.

    a. Möglichkeiten der Operationalisierung

    Das Themenfeld des gerechten Friedens wird im Schulunterricht sicher nicht nur im Fach Evangelische Religion eine Rolle spielen. Doch gerade im Religionsunterricht lässt sich über die Herausforderung diskutieren, wie sich biblische Visionen in politische Realitäten übersetzen lassen und wie der Beitrag von jeder und jedem Einzelnen für einen weltweiten Frieden aussehen könnte.

    Im gymnasialen Lehrplan für Bayern kann das Thema des gerechten Friedens bei unterschiedlichen Lernbereichen verhandelt werden. Dabei werden stets unterschiedliche Aspekte in den Vordergrund treten:

    • Klasse 5 Beitrag des Fachs Evangelische Religionslehre zu den übergreifenden Bildungs- und Erziehungszielen (→ Politische Bildung)
    • Klasse 7 Lernbereich 4: Wünsche und Visionen
    • Klasse 8 Lernbereich 2: Propheten und die Frage nach Gerechtigkeit
    • Klasse 9 Lernbereich 4: "In Verantwortung vor Gott" − das Verhältnis von Kirche und Staat
    • Klasse 10 Lernbereich 5: Gerechtigkeit und Frieden in der einen Welt
    • Klasse 12 Lernbereich 2: Frage nach dem guten Leben
       

    In der Predigt kann das Thema des gerechten Friedens mit all seinen Ambivalenzen und Herausforderungen bei den einschlägigen eschatologischen Visionen vor allem bei den Propheten und in den Psalmen aufgegriffen werden.
     

    b. Medien/Material: Filme, Bücher, PC-Spiele

    Die Bandbreite von Kinder- und Jugendbüchern zum Thema des Friedens ist unübersehbar. Beispielhaft seien hier fünf besonders empfehlenswerte Bücher genannt, die die Erfahrungen von Jugendlichen in Kriegen unserer Gegenwart schildern und so auf die Diskussion um Chancen von Friedenskonzepten hinführen:

    • Celik, Aygen-Sibel, Zoran Drvenkar, Paulus Hochgatterer, Irma Krauß, Jonas Torsten Krüger, Sigrid Laube, Mira Lobe, Carolin Philipps, Guy Rewenig, Juli Zeh, Reinhold Ziegler. 2004... und dann war alles anders. Geschichten von Krieg und Frieden. Wien: Carl Ueberreuter Verlag.
    • Ellis, Deborah. 2003. Allein nach Mazar-e Sharif. Wien/München: Jungbrunnen Verlag.
    • Ellis, Deborah. 2004. Am Meer wird es kühl sein. Wien: Jungbrunnen Verlag.
    • Todenhöfer, Jürgen. 2005. Andy und Marwa. Zwei Kinder und der Krieg. München: C. Bertelsmann Verlag. München: Goldmann Verlag.
    • Dhôtel, Gérald. 1999. Asyl. Das bedrohte Recht. München: Elefanten Press im C. Bertelsmann Jugendbuchverlag.
       

    Alljährlich wird von den führenden Friedensforschungsinstituten Deutschlands das Friedensgutachten herausgegeben, das sich an politische Akteurinnen und Akteure und an die breite Öffentlichkeit richtet und aktuelle militärische und zivile Herausforderungen analysiert und bewertet. Das Friedensgutachten des Jahres 2016 ist in hervorragender Weise didaktisch für den Schulunterricht aufbereitet:

    • Oschinski, Julia, Nadine Ritzi. 2017. Friedensgutachten 2016 didaktisch: Unterrichtshilfen und Materialien. Tübingen: Berghof Foundation.
       

    "Für weniger Hass und mehr Verständnis" setzt sich eine Initiative in Israel ein, die arabische und jüdische Jugendliche im gleichen Alter aus Haifa zusammenbringt, die sonst in ihrem Alltag nie ins Gespräch miteinander kämen. Sie spielen gemeinsam das Computerspiel Minecraft als Teil des Projekts Play2talk. In den virtuellen Begegnungen tritt die ethnische Identität erstmals zurück und das Kennenlernen vereinfacht sich. Erstmals müssen sie in der virtuellen Welt Aufgaben bewältigen und in einer zweiten Phase lernen sie sich auch in der echten Welt kennen.

    Ein anderes Computerspiel ist Pacemaker oder das gute Kriegsspiel, wie die Zeit es betitelte, denn es verhilft zu einem besseren Verständnis des Nahostkonflikts und sucht den Frieden. Das Team aus Amerikanern, Palästinensern und Israelis von der amerikanischen Firma ImpactGames hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit, aber sie haben mit diesem Spiel versucht zu zeigen, wie einzelne Handlungen Reaktionen und Folgen hervorrufen.
     

    c. Fragen/Thesen zur Diskussion

    1. In welchem Verhältnis stehen Frieden und Gerechtigkeit?
    2. Ist das Konzept des gerechten Friedens eine biblische Vision oder ein politisch-ethisches Leitbild?

    Basisliteratur

    Die deutschen Bischöfe: Gerechter Friede, Bonn 2000.
    Evangelische Kirche in Deutschland (EKD): Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen. Eine Denkschrift des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gütersloh 2007.
    Evangelische Kirche in Deutschland (EKD): "Selig sind die Friedfertigen". Der Einsatz in Afghanistan: Aufgaben evangelischer Friedensethik. Eine Stellungnahme der Kammer für Öffentliche Verantwortung der EKD, Hannover 2013.
    Ökumenischer Rat der Kirchen (ÖRK), Zentralausschuss: Ein ökumenischer Aufruf zum gerechten Frieden, Genf 2011.
    Schoch, B. u.a. (Hg.): Friedensgutachten 2017, Münster 2017.
    Werkner, I.-J. und Ebeling, K. (Hg.): Handbuch Friedensethik, Wiesbaden 2017.
     

    Vertiefende Literatur

    Czempiel, E.-O.: Schwerpunkte und Ziele der Friedensforschung, Mainz 1972.
    Galtung, Johan: Theorien des Friedens, in:Senghaas, D. (Hg.): Kritische Friedensforschung, Frankfurt 1971, 235–246.
    Hoppe, T., Werkner I.-J.: Der gerechte Frieden: Positionen der katholischen und evangelischen Kirche in Deutschland, in: Werkner, I.-J., Ebeling, K.: Handbuch Friedensethik,  Wiesbaden 2017, 343–360.
    Link, H.-G. u.a. (Hg.): Busan 2013. Offizieller Bericht der Zehnten Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen, Leipzig 2014.
    Strub, J.-D., Grotefeld, S. (Hg.): Der gerechte Friede zwischen Pazifismus und gerechter Krieg. Paradigmen der Friedensethik im Diskurs, Stuttgart 2007.
    Strub, J.-D.: Der gerechte Friede. Spannungsfelder eines friedensethischen Leitbegriffs, Stuttgart 2010.
    Werkner, I.-J., Liedhegener, A.: Gerechter Krieg – gerechter Frieden. Religionen und friedensethische Legitimationen in aktuellen militärischen Konflikten, Wiesbaden 2009.
    Werkner, I.-J., Rademacher, R.: Menschen geschützt – gerechten Frieden verloren? Kontroversen um die internationale Schutzverantwortung in der christlichen Friedensethik, Münster 2013.


    Predigt- und Unterrichtshilfen

    Unterrichtshilfe Friedensgutachten:
    Oschinski, J., Ritzi, N.: Friedensgutachten 2016 didaktisch: Unterrichtshilfen und Materialien, Tübingen 2017.


    Links

    Evangelische Militärseelsorge
    Evangelische Friedensarbeit
    Arbeitsgemeinschaft Dienste für den Frieden
    Responsibility to Protect
    Responsibility to Protect 2
    Friedenspädagogik
    Computerspiel Peacemaker

    Veröffentlicht am 12.10.2017 (Version 1.0).

    Zitierweise:
    Jäger, S.: Art. "Gerechter Frieden" (Version 1.0 vom 12.10.2017), in: Ethik-Lexikon, verfügbar unter: https://ethik-lexikon.de/lexikon/gerechter-frieden.