Autokratie, Demokratie, Diktatur, Föderalismus, Imperium, Monarchie, Rechtsstaat, Republik, … – die Vielfalt der Formen politischer Ordnungen ist groß. Einige der genannten Formen sind Alternativen – beispielsweise entweder Demokratie oder Autokratie. Andere Formen bezeichnen unterschiedliche Aspekte oder Dimensionen einer gemeinsamen Ordnung – etwa Demokratie und Rechtsstaat oder Demokratie und Republik. Die Eigenschaften politischer Ordnungen und ihre möglichen ethischen Grundlagen werden im Folgenden genauer betrachtet.

    Basisinformationen

    Der sprachliche Ursprung des Begriffs "Politik" stammt aus dem Griechischen. Sein Bedeutungskern blieb erhalten bis in die heutige Zeit: In der Polis (so wurde im antiken Griechenland die Stadt bezeichnet) ging es um das Zusammenleben von Menschen, nicht nur in einer Familie, sondern auch in einer größeren Gruppe. Das Prinzip der Nächstenliebe reichte hier nicht aus, die Kooperation innerhalb der Gruppe und der gemeinsame Schutz nach außen wurden wesentlich. Das war die Geburtsstunde der Politik. Die Kernproblematik sowie deren Bandbreite findet man beispielsweise bei dem Philosophen Michael Walzer in Sphären der Gerechtigkeit: Auf der einen Seite steht die Familie – in sie wird man geboren und man bleibt ein Teil von ihr. Auf der anderen Seite steht eine Nachbarschaft – jeder ist frei, zu kommen und zu gehen, zu kooperieren oder nicht. Dazwischen liegt der Verein mit gemeinsamen Interessen – seine Gruppe kann jemanden hineinlassen oder nicht, jeder kann gehen (vgl. Hirschman 1974). Die politische Gemeinschaft ähnelt insofern eher einem Verein.

    Die Aspekte einer politischen Ordnung lassen sich so unterscheiden: Da ist erstens die Ebene der politischen Verfassung, der Institutionen und ihrer Grundprinzipien (polity); zweitens die der internen Entscheidungsprozesse der Beteiligten (politics); drittens die der Inhalte der politischen Entscheidungen (policy). Es geht in diesem Beitrag vor allem um polity, um die Ordnungen und ihre Legitimationen. Sie sind jedoch eng mit dem politischen Handeln und den Politik-Inhalten verbunden, so dass sie im Zusammenhang betrachtet werden müssen. 

    Politische Entscheidungen sind verbindliche Entscheidungen, sie gelten für alle Mitglieder einer politischen Gemeinschaft. Es sind Kollektiventscheidungen, und zwar explizite Kollektiventscheidungen zwischen Alternativen, und nicht implizierte Kollektiventscheidungen (die aus individuellen Entscheidungen von Personen resultieren und Folgen haben für alle – wie etwa die Arbeitslosenquote oder die Inflationsrate – die aber nicht als solche gewollt waren). Politische Entscheidungen enthalten Zwang, insofern enthalten sie unweigerlich Herrschaft – nicht unbedingt in der Entscheidung, aber in ihrer Geltung. 

    Die vormodernen Legitimationsgründe politischer Gesellschaften waren anders als in der Moderne: In der Vormoderne ging es vor allem um die Ursachen einer politischen Gemeinschaft und ihrer Herrschaft: die Geschichte der Gründung, die Offenbarung Gottes, die Herkunft der Herrschenden, ihre Stärke, Vernunft, Rasse, Kaste oder Klasse.

    Moderne Legitimationsgründe haben eher mit dem Recht der Spielregeln zu tun als mit den Ursachen der Herrschaft. Die prüfenden Fragen sind: Wer entscheidet? Sind alle an die Entscheidungen Gebundene auch Beteiligte an den Entscheidungen? Oder sind es nur Einige? Oder ist es nur Einer? Wie haben die Entscheider ihre Rolle bekommen? Welche Gleichheit und welche Ungleichheit der Entscheidenden und der Gebundenen besteht (etwa zwischen Frauen und Männern)? Und dann kommt die Frage nach den Inhalten: Welche Entscheidungen sollen politische sein und welche individuelle? Wie weit dürfen die politischen Entscheidungen gehen? Welche Grenzen haben sie? Welche Prinzipien und Kriterien stecken in ihnen oder sollten wenigstens in ihnen stecken?

    a. Mögliche Formen politischer Ordnung

    Zuerst wird ausgegrenzt, welche Herrschafts-Ordnungen nicht als politische Ordnungen betrachtet werden. Ein Grenzfall ist die komplette individuelle Autonomie aller Individuen ohne jedwede verbindlichen gemeinsamen Entscheidungen: Anarchie. Aus guten Gründen wird diese Position niemals wirklich ernst genommen: Wie soll man sich vorstellen, dass die Individuen einander respektieren, wenn sie nicht sämtlich Heilige sind? Und da sie nicht alle Heilige sind und es eine Rechtsordnung braucht, die die Freiheit aller Personen schützt – woher kommt die Rechtsordnung? 

    Der andere Grenzfall ist eine (echte) Theokratie, in der Gott die Herrschaft hienieden ausübt (das ist also nicht die Civitas Dei bei Augustinus1 , die ja gerade nicht eine Herrschaft in der irdischen Welt meint): ohne jegliche Autonomie der Individuen, dabei ist kein individuelles Mitglied der betroffenen Gemeinschaft beteiligt an Entscheidungen. Gott hat direkt gesprochen zu den Mitgliedern der Gesellschaft oder zu ihren Statthaltern. Und Gott behält die direkte Kontrolle über die Statthalter, wobei seine Instrumente etwa Blitz und Donner sind. Hierüber kann man kaum politisch diskutieren (andererseits: Sofern es um eine religiöse Verfassung geht, deren Offenbarung von den Statthaltern interpretiert, tradiert und missioniert wird und die zugleich keine Kontrolle von oben kennt, wird darüber noch zu sprechen sein, wenn es um die möglichen Grundlagen einer autokratischen oder aristokratischen politischen Ordnung geht).

    Ein dritter, und ebenfalls nicht weiter diskutierter Fall, ist die Macht eines Staates über andere politische Gemeinschaften – etwa Eroberung, Kolonialisierung, auch Hegemonie oder Imperium. Die Fremdherrschaft ist keine wirkliche politische Ordnung. Was auch immer die Herrschenden nach innen sein mögen, nach außen dürfen sie tun, was sie wollen – auch Versklaven, Rauben oder asymmetrisch Tauschen. Selten gibt es dabei Ideen über globale Gerechtigkeit, vor allem die gerechtere Umverteilung des Landes. Ein Beispiel findet man sich bei John Lockes klassischem Text. Sein Argument zu Amerika war: Wenn die Welt den Menschen – allen Menschen – geschenkt wurde und einige haben zu große Land-Privilegien – darf man sie nicht doch partiell enteignen? Das Argument verwendete man auch in Australien.

    Diese Formen werden hier nicht betrachtet. Als politische Ordnungen werden nur solche Ordnungen verstanden, in denen verbindliche Entscheidungen für alle Mitglieder einer Gesellschaft durch Personen in der Gesellschaft zustande kommen.

    Schon früh (vor allem und immer noch wichtig: Aristoteles) war die Anzahl der Entscheidenden Ausgangspunkt der Überlegungen: Demokratie – Herrschaft aller, Aristokratie – Herrschaft einiger, Monarchie – Alleinherrschaft. Und ebenfalls dort stützte sich die weitere Unterscheidung auf die ethischen Maßstäbe der Entscheidungsinhalte, wobei die Bewertung davon abhing, wem die Entscheidung diente: Gut waren Entscheidungen, die allen Gebundenen dienten, also das Gemeinwohl suchten. Schlecht nannte man Entscheidungen, die nur die Interessen der Entscheider bedienten. Wenn die Entscheidung von einer guten Herrschaft zu einer schlechten Herrschaft entgleist, dann wird die Demokratie zur Pöbelherrschaft (Ochlokratie), die Aristokratie zur Oligarchie, die Monarchie zur Tyrannis

    Zusätzlich zu diesen Unterscheidungen kam sofort die Frage auf, ob und wie eine gute Ordnung zu stabilisieren ist. 

    Skeptische oder auch pessimistische Antworten gründeten dabei auf der Vorstellung unvermeidlicher zyklischer Pfade: Eine anfangs gute Herrschaft entgleist irgendwann, eine Revolution führt zur nächsten Herrschaftsordnung, deren Entgleisung wieder zur Revolution führt, und so weiter. Im zweiten Jh. v. Chr. prägte Polybios die Vorstellung eines Kreislaufs der Verfassungen, die gewissermaßen kanonisch wurde: Der Gründerkönig war gut; seine Nachfolge jedoch geriet zur machtgeleiteten Tyrannis. Das führte zum Aufstand der Besten, zur Aristokratie, aber deren Herrschaft wurde selbstgefällig oligarchisch. Verzweifelt revoltierte daraufhin das gemeine Volk, aber Demagogen führten es von der Demokratie zu einer Pöbelherrschaft. In dieses Chaos kam dann ein Retter, der ein neuer König wurde. Ähnlich zyklisch war die Beschreibung Ibn Chalduns von der arabischen Welt: In der produktiven reichen, aber verweichlichten Stadt brauchte man von außen eine Herrschaft, den kampfbereiten Wüstenstamm als Kriegerkaste, weil sie der dekadenten Stadt Schutz nach außen bieten konnte. Als die Kriegerkaste sich dem Luxus hingab und verweichlichte, wurde die Stadt exzessiv von innen her ausgebeutet und nicht mehr gut nach außen geschützt – die nächste Kriegerkaste konnte von außen kommen und die Herrschaft übernehmen. 

    In der Moderne blieb man zunächst dabei, dass man entweder einen Zyklus hinnehmen oder eine stabile unwiderstehliche Letztinstanz finden musste (Hobbes). Diese sei zwar eine gefährliche Instanz, aber sie sei besser als permanente Entgleisungen und innere Kriege. Bis heute verwendet man gelegentlich dieses Argument für eine permanente Diktatur: Sie schützt gegen das permanent drohende Chaos bzw. gegen die dauernde Gefahr durch Terrorismus2 .

    Eine ebenfalls sehr frühe, deutlich optimistischere Vorstellung einiger Philosophen ging aus von einer politischen Arbeitsteilung. Schon in Griechenland (Aristoteles) und in Rom (Cicero) war dies ein Konzept, das später insbesondere von Machiavelli, Montesquieu sowie Locke aufgegriffen wurde. Es gab schon vor der Moderne die Vorstellung einer Gewaltenteilung zwischen den gesellschaftlichen Gruppierungen – vor allem Volk und Adel – und den jeweils zugehörenden politischen Institutionen: So war etwa die Gesetzgebung Aufgabe des adligen Senats, während die Volkstribunen des Plebs ihr Vetorecht ausüben konnten. In der Moderne kam es zum Durchbruch einer anderen Art von Republik, die gleiche Rechte aller Bürger vorsieht. Das fand in der Französischen und der Amerikanischen Revolution statt: In ihr herrschte Balance zwischen politischen Organen untereinander – zwischen Gesetzgebung, Regierung und Rechtsprechung3 .

    Zusätzlich wurde in einigen Republiken eine weitere Arbeitsteilung institutionalisiert: die zwischen Zentralpolitik und Teilstaatenpolitik (Föderalismus). Manchmal enthält eine föderalistische Verfassung eine strikte Trennung der Aufgaben der beiden Ebenen, manchmal enthält sie eher eine Balance zwischen den Ebenen – beispielsweise die Zusammenwirkung des Bundesrates mit dem Bundestag in der Gesetzgebung in Deutschland. 


    b. Legitimation der Herrschaft vor dem Recht

    Solche Überlegungen führen bereits zur Frage nach der Legitimation als Hintergrund der politischen Formen. Zwei grundlegende Möglichkeiten werden unterschieden: Früher geläufig war die Vorstellungen einer Herrschaft, die vor dem Recht bzw. über dem Recht steht. Demgegenüber steht die umgekehrte Vorstellung, dass das Recht vor der Herrschaft und über der Herrschaft steht. Zunächst zu den wichtigsten Legitimationstopoi einer Herrschaft vor dem Recht:

    Gründungen, Herkunft, Patriarchat: Herrschaft wird begründet durch die Vorgeschichte einer politischen Gemeinschaft. Dabei kann es sich um reale Geschichte handeln oder um erzählte Legende. Die spezielle Vorgeschichte, zum Beispiel eine Revolution oder Eroberung, legitimiert die Nachkommen, die besten Kenner oder die tiefsten Befolger der Grundlagen. Auf diesem Begründungsansatz basieren oft Monarchien, bis hin zum Absolutismus, der wie folgt zusammenzufassen ist: Der legitime König macht die Gesetze. Derselbe König kann sie nach seinem Belieben verändern. Also wäre es unlogisch, ihn an die Gesetze zu binden. 

    Göttliche Gesetze, Offenbarung, Gottes Gnade: Eine andere Legitimierung der Herrschaft vor dem Recht basiert darauf, dass sie durch Gottes Ermächtigung erfolgt. Sei es in Form einer spezifischen Mitteilung (Orthodoxe in Israel sind etwa der Meinung, das Land sei ihnen von Gott gegeben) oder durch allgemeinere Gesetze wie die Offenbarung vom Berg Sinai. Das Problem hierbei besteht immer darin, dass unklar ist, wie diese Gesetze zu lesen sind. Die Fundamentalisten verstehen es strikt, Wort für Wort. In solchen Staaten sind die wörtlichen Details die Legitimationsgrundlage für Herrschaft. Wenn die irdischen Statthalter ehrliche Fundamentalisten sind, werden sie oft kompromissloser sein als die pragmatischen Fundamentalisten: In der früheren Moderne haben etliche Monarchen ihre Religion verändert, wenn es ihrem gesellschaftlichen Erfolg diente. Sie hatten offensichtlich keine Angst, in die Hölle zu geraten. Wenn es eher um die Prinzipien als um die Worte geht, wird die Offenbarung als ethische Basis betrachtet. Die allgemeine politische Frage ist dann: Sind die Fundamentalisten das politisch-theologische Zentrum oder sind sie eine politisch-theologische Peripherie einer Ordnung. Im Christentum wurden mehr oder weniger die Fundamentalisten in die Peripherie gedrängt, während sich im Islam nach wie vor die Fundamentalisten als Zentrum ansehen (vgl. Gellner 1994). 

    Rasse: Noch in der frühen Moderne war die Rassenzugehörigkeit als Legitimation unumstritten. Mitglieder einer Rasse gewährten gleiche Rechte untereinander und betrachteten die Herrschaft über andere Rassen als legitim. Rassismus gab und gibt es auch nach innen, soweit eine Gesellschaft heterogen war oder ist (Deutschland im Dritten Reich bleibt das drastische Beispiel, ansonsten ist etwa die staatlich verordnete Apartheid in Südafrika zu nennen). Rassismus nach außen kommt in der Bandbreite von Sklaverei über Ausbeutung der Unterworfenen bis hin zum Missionierungswillen der Aufklärung vor. Zur politischen Legitimation wird Rassismus heute nicht mehr explizit verwendet. Implizit ist er keineswegs verschwunden. 

    Recht der Stärkeren: Wer an der Macht ist, kann innerhalb einer politischen Gemeinschaft tun, was er will, solange es ihm gelingt, seine Macht zu erhalten. Das kann man einen Räuberstaat nennen oder einen Mafia-Staat. Dieses Recht der Stärkeren als Legitimierungsargument existiert heute nicht mehr. Weder explizit noch implizit. Es gilt als kriminell und wird wenigstens nach außen hin verleugnet. Leugnen ist zwar nicht schön – aber schlimmer wäre es, wenn ein Präsident stolz erklären würde, dass er der Stärkste ist. 

    Elite: Avantgarde, Vernunft, Tugend: Selbstgerechte Eliten haben immer wieder die Herrschaft beansprucht. Gelegentlich selbstlos, ohne Eigennutz und Korruption, aber normalerweise gnadenlos, immer ohne Selbstkritik. Das führte schnell zum Terror der Tugend – Robespierre, Lenin und Pol Pot sind Beispiele hierfür. Die Grundlage findet man bei vielen Philosophen, die oft Berater waren und gelegentlich die Herrschaft übernehmen wollten. Das gab es schon immer, nicht nur in der Moderne. Platon hatte es zunächst im Blick als ein Ideal. Er hat dann immerhin, in der Folge seiner politischen Erfahrung, die Gesetze als realen Kompromiss vorgezogen – also eher Rechtsstaat als Elitenherrschaft. Die Selbstermächtigung einer Elite begegnet uns heute nur noch in bestimmten ideologischen Umgebungen, etwa in bestimmten Schulen im Kommunismus oder im Islam. Ansonsten wird das Elitäre heute nicht mehr als Herrschaftslegitimation angenommen. Kluge Fragen bleiben den Klugen ja weiterhin erlaubt. Aber ihre Antworten, wie klug auch immer sie sein mögen, genießen kein Vorrecht mehr. 

    Insgesamt zeigt die Liste vormoderner Legitimationen, dass diese Vorstellungen nur selten mit Demokratie und niemals mit Gewaltenteilung vereinbar sind. Dementsprechend sind solche Argumente öffentlich und explizit unbrauchbar geworden. Die Ideengeschichte hat ihnen ein Ende gesetzt. Das Ende der Geschichte, die Fukuyama so beschrieben hat, ist in dieser Hinsicht unbestreitbar. Aber das bedeutet nicht, dass diese alten Prinzipien nicht weiter produktiv sind, indem sie uminterpretiert werden. "Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem es kroch!" (Brecht in seinem Theaterstück Arturo Ui von 1941). Insofern geht die Geschichte niemals zu Ende, solange die Menschen vorhanden sind.


    Kommen wir zu den Legitimationskriterien, die das Recht über die Herrschaft stellen: 

    c. Legitimation des Rechts vor der Herrschaft

    Die Vorrangstellung des Rechts vor der Herrschaft ist das moderne Legitimationsbild, das kaum mehr explizit in Frage gestellt wird. Ein Spielraum der Interpretationen ist allerdings auch hier vorhanden. Die Kernkriterien sind: Individuelle Freiheit, Gemeinwille, Gemeinwohl, Gewaltenteilung, politische Teilhabe sowie Menschenwürde

    Individuelle Freiheit: Legitimiert man die Vorrangstellung des Rechts vor der Herrschaft mit der individuellen Freiheit, so muss die politische Ordnung die Rechte der Personen respektieren, schützen und unterstützen. Individuelle Freiheit beinhaltet die eigenen Meinungen und Ziele sowie die eigene Entscheidung der Auswahl ihrer Optionen und entsprechende Handlungen. Das impliziert, dass niemand die anderen schädigen darf und dass alle die Meinungsdifferenzen der anderen hinnehmen sollen. Individuelle Freiheit besteht politisch zumindest darin, dass die Personen ihre politischen Meinungen und Interessen öffentlich zeigen dürfen. Die politische Ordnung muss das nicht nur respektieren, sondern auch schützen und unterstützen. Das ist nicht notwendig Teilhabe bei den politischen Entscheidungen. Ein sehr klares Beispiel gibt Kant über Aufklärung: Ein guter König soll nicht entscheiden, was er gerade will, sondern das, was alle Untertanen wollen könnten – soweit sie vernünftig sind.

    Gemeinwille: Das Recht über die Herrschaft kommt in dieser Legitimierungsvariante nicht von oben oder außen, sondern von all denen, die an das Recht gebunden sind – "vom Volk". Gebunden daran ist auch die Herrschaft, die nur ein Instrument ist – "erster Diener des Staates". Die Schaffung des Rechts auf der Grundlage des Volkes kann nicht einfach das sein, was eine Mehrheit haben will und nicht einmal das, was alle vermeintlich "wollen". Sondern das Recht soll sein, was alle für alle als gerecht (an)erkennen können. Es ist also ein Konsens über das Recht und die Basis für den Umgang aller mit ihren unterschiedlichen Partialinteressen. Wenn man diesen Konsens einen Gesellschaftsvertrag nennt, sollte man im Blick behalten, dass es hierbei nicht um eine Geschichte oder eine Erklärung geht. Sondern es ist ein gedankliches Experiment, ein Test. Etwa die Vorstellung der Entscheidung unter dem Schleier des Nichtwissens, dass man nicht weiß nicht, wer und wie man ist - reich oder arm, weiß oder schwarz, Frau oder Mann (vgl. Rawls 1975): Zugleich enthält die Vorstellung des Vertrags bereits eine ethische Voraussetzung: Was sind die bereits vorhandenen Rechte der Teilnehmer, damit überhaupt ein freiwilliger Vertrag vorstellbar ist? Beispielsweise: Es kann kein Vertrag sein, in dem Sklaverei zustande kommt – die Rechte der Beteiligten sind nicht nur unverletzlich, sondern auch unveräußerlich (Grundgesetz Artikel 2). Und dann: Welche Rechte und Spielregeln der Personen sind es, die der Vertrag darüber hinaus enthalten kann? Und was darf und soll die Gemeinschaft tun?

    Gemeinwohl: Gemeinwohl ist teilweise ein unbestimmter Rechtsbegriff. Soweit es ein negatives Kriterium der Legitimierung ist, ist es einfach zu beschreiben: Die Rechte der Personen und die bestehenden Gesetze soll man nicht verletzen. Als positives Kriterium ist es nicht so einfach zu beschreiben: ein gutes Leben aller, Fairness und Solidarität, öffentliche Güter, Gerechtigkeit der Verteilung, Sicherheit, Zukunft, Nachhaltigkeit, Nothilfe – all das ist nicht einfach als richtig oder falsch zu beurteilen. Eher geht es um Verfahren, Transparenz, Rechenschaftslegung, Argumentationen und Verhältnismäßigkeit in den Entscheidungen bei Konflikten zwischen Personen. 

    Gewaltenteilung: Der tiefere ethische Hintergrund dieser Vorstellung vom Zusammenspiel der politischen Institutionen ist einfach. Es geht um die Unterscheidung zwischen den allgemeinen Prinzipen des Umgangs mit Menschen in einer politischen Gemeinschaft einerseits und den spezifischen Wünschen/Interessen der Individuen und Gruppen andererseits. Die politischen Willensentscheidungen – mit Diversität, Streit und notwendigen Kompromissen – müssen eingebettet sein in einen Konsens über das Recht, also die Verfassung. Auch die Verfassung kommt nur politisch zustande. Aber sie soll keine spezifischen Interessen im Blick haben, sondern allgemeine Gerechtigkeit. Bis zu einem bestimmten Grade kann die Unterscheidung in Verfahren abgebildet werden. Dabei brauchen Verfassungsentscheidungen eine höhere Schwelle als die engeren politischen Entscheidungen. 

    Bei den genannten Kriterien handelt es sich nicht um alternative Maßstäbe wie zuvor in der Liste b. Die Kriterien hängen mit der politischen Architektur des Rechtsstaates zusammen. Der kulturelle Optimismus in einem Rechtsstaat sieht dabei vor, dass die genannte Unterscheidung von den Beteiligten nicht nur verstanden, sondern von ihnen auch akzeptiert und verteidigt wird. 

    Zusätzlich zu erwähnen sind die Legitimationskriterien nach außen. Wenn es in der politischen Gemeinschaft eine universale Ethik nach innen gibt – Menschenwürde – dann muss es etwas Vergleichbares geben, das auch nach außen gilt: Autonomie, Souveränität, Unabhängigkeit, Union, Separation, Frieden, Verteidigung, Hilfe. Mit der schwierigen Frage: Wenn ein anderer Staat kein Rechtsstaat ist, soll man dann intervenieren – oder wegschauen? 

    Die beschriebenen Legitimationskriterien sind unstrittig. Es bleibt noch eine letzte Legitimationsfrage: Wie kommen die politischen Entscheidungen zustande?
     
    Politische Teilhabe: Die Teilnahme aller Gebundenen an kollektiven Entscheidungen ist heute unstrittig – aber auch in diesem Rahmen sind Alternativen zur Demokratie weiterhin zu sehen. Beispiele solcher Argumente: Der Monarch sei ein erster Diener des Staates; die Eliten haben zwar Privilegien, aber sie haben deshalb auch besondere Pflichten; der gute Monarch wird die Freiheit der Individuen schützen – vielleicht sogar besser als eine Mehrheit der Bürger. Alle diese Argumente sind kritisierbar, aber sie sind nicht indiskutabel – solange sie den Rechtsstaat nicht in Frage stellen. Demokratie ist dabei eine beste Form, aber andere Formen sind erst dort zu verwerfen, wo sie über das Recht hinweggehen. Man kann es auch so sagen: Demokratie braucht den Rechtsstaat, der Rechtsstaat ist eine notwendige Bedingung der Demokratie. Aber den Rechtsstaat kann man denken – philosophisch – ohne Demokratie. In der Realität hängen beide zusammen – einander stützend und auch einander bedrängend. Der Rechtsstaat kann sich von dem "Volksempfinden" gelegentlich genervt fühlen – aber er kann sich kaum eine Autokratie wünschen. "Ein Volk" empfindet den Rechtsstaat als ärgerlichen Prinzipienreiter – aber ihn zu verlassen, kann es sich auch nicht wünschen. Was eher passieren kann ist, dass "ein Volk" sich einen schönen Autokraten wünscht. Da geht dann gleich auch der Rechtsstaat in die Knie. Man sieht das gegenwärtig (2018) in Polen, Ungarn, Russland. 


    d. Politikwissenschaft und die Nachbar-Disziplinen 

    Die hier betrachteten Themen werden heute als Bestandteile der Politikwissenschaft angesehen. Das ist aber eine sehr junge Disziplin. Daher ist es nützlich, diejenigen Disziplinen zu benennen, die zu Teilbereichen der Politikwissenschaft weiterhin beitragen. 

    Normative Theorie in der Politikwissenschaft:
    Die politische Philosophie und ihre Ideengeschichte waren und sind wesentliche Teile der politischen Philosophie. Die grundlegenden Prinzipien wurden bereits im Altertum und im Mittelalter formuliert, zumeist von den Autoren, die sich oft selbst als Philosophen bezeichneten. Dabei waren aber auch Politiker, Diplomaten und Theologen, darunter insbesondere Platon, Aristoteles, Cicero; später Augustinus. Den Übergang zur Moderne leisten vor allem Machiavelli, Ibn Chaldun, Hobbes, Locke, Montesquieu, Rousseau, Hume, Kant, Mill. Heute zu nennen sind Rawls, Nozick, Walzer, Hardin. 

    Ordnungsfragen, Verfassung: 
    Genuin politikwissenschaftlich sind die Diskussionen über die Entwürfe der heutigen Institutionen, die nach der Französischen und der Amerikanischen Revolutionen entstanden. Zugleich sind sie eng verflochten mit Recht, Ökonomik sowie Theologie. Aus der Rechtswissenschaft kommen Überlegungen über das Staatsrecht und die Verfassung. Ein Beispiel ist Böckenförde. Im Bereich der Ökonomik findet man Arbeiten über Staatsaufgaben, Ordnungspolitik, Verteilungsgerechtigkeit; zu nennen sind heute Hayek, Buchanan, Schumpeter, Eucken. Aus der Theologie fließen Überlegungen über Religion und Herrschaft ein. Hier ist etwa die Diskussion zwischen Ratzinger und Habermas anzuführen.

    Und die allgemeinen philosophischen Grundlagen: 
    Erkenntnistheorie und Werturteile, die Fragen nach Wahrheit und Gewissheit, Metaphysik, Evolution, Idealismus und Materialismus. Zu nennen sind etwa Karl Popper, Max Weber, Hans Albert, auch Karl Marx, die hierzu beigetragen haben. Überdies sind Themen der Erweiterung des Blicks zu nennen: Sind Prinzipien wie individuelle Freiheit, Rechtsstaat, Demokratie und Pluralismus nur eine "westliche" Spezialität? Oder gehören sie zu einer universalen politischen Ethik?

    • 1Die erwähnten Klassiker – von Aristoteles bis in das 19. Jahrhundert – werden in die Literaturliste nicht ausdrücklich aufgenommen. Den Zugang zu ihnen findet man gut über Becker et al., Brocker, Llanque et al., Oberndörfer et al. (s. Literaturliste).
    • 2Zu den Begriffen: Im alten Rom war die Diktatur eine Notstandsrolle – zweimal wurde Lucius Quinctius Cincinnatus vom Senat zum Alleinherrscher berufen, um die Stadt zu retten. Nach der Lösung der Konflikte ging der beauftragte Diktator Cincinnatus nach Hause und setzte seine Arbeit als Ackerbauer fort.
    • 3Zu den Begriffen: Ursprünglich enthielt die Gewaltenteilung die frühere begriffliche Unterscheidung zwischen Republik und Demokratie. Bei Rousseau etwa gehörte die Gesetzgebung dem Volk – das war die Republik. Die Regierungsform im Rahmen der Gesetze konnte Demokratie oder Aristokratie oder Monarchie sein (vgl. Zintl, „Republik“ in Huster/Zintl 2008). Zum anderen gibt es heute zwei Sorten von Monarchie: der König als Herrscher (ohne Republik, etwa Saudi-Arabien) und der König als symbolisches Staatsoberhaupt (in den europäischen Staaten, die ansonsten Demokratien und Republiken sind). Inzwischen empfinden einige die Beschreibungen einer „demokratischen Republik“ oder auch einer „republikanischen Demokratie“ als pleonastisch.

    a. Thema 1

    "Der Islam gehört zu Deutschland": Der Satz von Wolfgang Schäuble, den er 2006 auf der ersten Islamkonferenz sprach, ist immer noch umstritten. In seiner Eröffnungsrede sagte er damals: "Der Islam ist Teil Deutschlands und Europas." Vier Jahre später wiederholte ihn der damalige Bundespräsident Christian Wulff. Er ist bis heute vielfach zitiert worden, auch von Angela Merkel. Es gibt Unmengen von Beiträgen, die über seine Bedeutung und Richtigkeit streiten. Sie zu analysieren, ist eine lohnenswerte Aufgabe. Je nach Fragestellung ließe sich diskutieren, wie die politische Macht mit Glaubensfragen umgehen darf und welche rechtlichen Grenzen die freiheitliche Verfassung einer Religion gibt. Des Weiteren lassen sich gesellschaftliche Identitätsfragen anknüpfen, etwa die Frage nach der Notwendigkeit von Vielfalt einer pluralistischen Gesellschaft. Berührt sind ferner Aspekte wie "Leitkultur" und Toleranz. Angrenzend daran lassen sich Überlegungen anschließen zu Migrationsfragen: Welche Pflichten hat die Politik, welche Grenzen?
     

    b. Thema 2

    "Die Gerichtsentscheidung verstößt gegen die Rechtsempfindung des Volkes": Der Innenminister von Nordrhein-Westfalen verteidigte eine Entscheidung der Verwaltung und kritisierte ein Gericht. Ausgangspunkt war die Abschiebung eines früheren Mitarbeiters von Osama Bin Laden nach Tunesien. Die rechtliche Frage war noch offen, ob Tunesien ein ernsthafter Rechtsstaat sei oder ob dort gelegentlich auch gefoltert werde. Im ersten Fall könnte man abschieben, im zweiten Fall nicht. Die betroffene Person wurde von der Behörde abgeschoben, obwohl die Rechtsentscheidung noch nicht gefallen war. Das Gericht verurteilte dann erst einmal die Behörde – die Person müsse zurückgebracht werden. Zu überlegen wäre nun, in welchem Verhältnis Rechtsempfinden und Rechtsstaat zueinander stehen bzw. stehen sollten. Wie weit kann das Rechtsempfinden "des Volkes" gehen und was ist unter einem "Gemeinwillen" zu verstehen? Letztlich ist hierbei auch die Beziehung zwischen Demokratie und Rechtsstaat zu klären: Welche Funktion hat die Gewaltenteilung? Wie verdienen die Institutionen das notwendige Vertrauen?
     

    c. Thesen

    • Die Demokratie muss in den Rechtsstaat eingebettet sein. 
    • Ein demokratischer Rechtsstaat muss die kulturelle Diversität akzeptieren und unterstützen – solange eine Kultur das Recht nicht verletzt.
    • Rechtsstaatliche Demokratie ist produktiver als autokratische Ordnungen. Meinungsunterschiede und Streit zu unterdrücken, führt zu Emigration des Denkens und auch der Personen.
    • Die rechtsstaatliche Demokratie muss die politischen Ordnungen anderer Staaten respektieren, auch wenn diese nicht alle Kriterien erfüllen. Aber die rechtsstaatliche Demokratie muss dabei nicht gleichgültig sein. Man muss nicht mit allen kooperieren. Sogar Interventionen können legitim sein. 

    Basisliteratur

    Becker, M., Schmidt, J., Zintl, R.: Politische Philosophie, Paderborn 42017.
    Brocker, M. (Hg.): Geschichte des politischen Denkens. Ein Handbuch, Frankfurt 2007.
    Llanque, M., Münkler, H. (Hg.): Politische Theorie und Ideengeschichte. Lehr- und Textbuch, Berlin 2007.
     

    Vertiefende Literatur

    Albert, H.: Traktat über kritische Vernunft, Tübingen 1968.
    Böckenförde, E.-W.: Staat, Verfassung, Demokratie. Studien zur Verfassungstheorie und zum Verfassungsrecht, Frankfurt 1991.
    Buchanan, J. M.: Die Grenzen der Freiheit, Tübingen 1984.
    Eucken, W.: Grundsätze der Wirtschaftspolitik, Tübingen 1952.
    Fukuyama, F.: Das Ende der Geschichte, München 1992.
    Gellner, E.: Bedingungen der Freiheit. Die Zivilgesellschaft und ihre Rivalen, Stuttgart 1994.
    Habermas, J. und Ratzinger, J.: Dialektik der Säkularisierung, Freiburg 2005.
    Hardin, R.: Liberalism, Constitutionalism, and Democracy, Oxford 1999.
    Hirschman, A. O.: Abwanderung und Widerspruch, Tübingen 1974.
    Huster, S. und Zintl, R. (Hg.): Verfassungsrecht nach 60 Jahren, Baden-Baden 2009.
    Nozick, R.: Anarchie, Staat und Utopia, München 1976.
    Oberndörfer, D. und Rosenzweig, B. (Hg.): Klassische Staatsphilosophie. Texte und Einführungen. Von Platon bis Rousseau, München 2000.
    Popper, K. R.: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bern/München 1957.
    Rawls, J.: Eine Theorie der Gerechtigkeit, Frankfurt 1975.
    Riklin, A.: Machtteilung. Geschichte der Mischverfassung, Darmstadt 2006.
    Schumpeter, J. A.: Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, Tübingen (1993 [1942]).
    Stammen, T. und Riescher, G. (Hg.): Hauptwerke der politischen Theorie, Stuttgart 1997.
    Walzer, M.: Sphären der Gerechtigkeit, Frankfurt 1992.
    Weber, M.: Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen (2018 [1922]).

    Veröffentlicht am 20.12.2018 (Version 1.0).

    Zitierweise:
    Zintl, R.: Art. "Formen politischer Ordnung und ihre Legitimation" (Version 1.0 vom 20.12.2018), in: Ethik-Lexikon, verfügbar unter: https://ethik-lexikon.de/lexikon/formen-politischer-ordnung-und-ihre-legitimation.